Notizen
Incal-Berichterstattung bemerkenswerter Nebensächlichkeiten, für Liebhaber und innen

BÄM! [bɛːm] - Aktuelle Notizen  | Berlin, Berlin (2003-2005)  | Karten aus Hokkaido (2005)  | Karten aus Indien (2005)  | Karten aus Kuba (2007)
31.12.2007

Bevor es gleich die Italienische und am Abend Russisches Raclette gibt, ist gerade noch Zeit für einen stichprobenartigen Jahresrückblick. Die Selbige aus Hamburg titelt über das letzte Jahr, es sei Ein guter Anfang, und die Welt sei friedlicher als noch anno 2006. Der Spiegel Online ist anderer Ansicht: 2007 – katastrophal wie nie! Vielleicht ist das der Grund, warum ich die Zeit mag und trotzdem zuerst den Spiegel lese. Merke: Wer ja sagt, muß auch nein sagen! Ich wünsche allen Incal-Lesern und Nichtlesern ein erstaunliches Jahr 2008.


29.12.2007

Briefe an die Nichtleser

Titanic! Was muß ich in Deiner Vom-Fachmann-für-Kenner-Rubrik (ganz unten) finden? Genau, unseren schönen Witz von der Typographie des Terrors. Von Incal lernen heißt aber bekanntlich Verlieren lernen, macht also ruhig weiter so!

Spott mit uns bzw. Unsere Ehre heißt Werktreue: Incal


26.12.2007

Am heutigen zweiten Weinachtstag möchte ich darauf hinweisen, daß es sich keinesfalls um einen Tippfehler handelt, sondern eventuell um eine dem Abendland durchaus angemessene Art, traditionelle Feiertage zu säkularisieren. Steter Tropfen höhlt den Schein!


25.12.2007

Incal-Gegner, seid gewarnt! Seit heute verfüge ich über eine eigene Regenbogenpresse sowie eine Flasche Oberwasser, und sehe großartigen Zeiten entgegen. Wenn ich nun noch wüßte, wie man Scherzbischöfe oder ein Misanthropeninstitut bastelt, dann könnte ich mich sogar revanchieren.


10.12.2007

Wir blicken zurück auf ein vielseitiges Wochenende! Samstagmorgens verlasse ich zu vorchristlicher Stunde die frostige Bundeshauptstadt per Zug in Richtung Süden. Kurz nach Göttingen überrascht uns das Bistro-Team mit einer Lautsprecherdurchsage. »Meine Damen und Herren, wie wäre es jetzt mit einer Curywurst mit Pommes – und dazu ein frisch gezapftes Pils vom Faß!« Ich schaue mich um, kann aber keine versteckte Soziologen-Arbeitsgruppe erkennen, die hier Feldforschung betreibt. Dafür aber leicht verspätet neue Fremdsprachen-Highlights hören: »Ladies & Gentlemen, in a few minutes wi schäll bi arraift in Fulda. Please excuse any convenience. ßänks für your kind of andaständing.« Rintheimer ärgern sich über diese Durchsagen, mich dagegen freuen sie immer wieder.

In Frankfurt erfahre ich sodann (im knallvollen und offenbar einzigen Frühstückslokal), daß es sich hierbei natürlich um eine Kleinstadt handele, die aber immerhin möglich sei. Möglich ist auch ein Besuch der populären Cranach-Ausstellung im Stedtl- pardon, Städelmuseum, die mich selbstverständlich beeindruckt. Zwischen all den brilliant strahlenden Farben fällt uns dieses Bild auf, das nach einem blassen Tintenstrahlausdruck aussieht und wie eine sehr moderne Fotografie wirkt: Heinrich der Fromme, Herzog von Sachsen, mit seiner Frau Katharina von Mecklenburg-Schwerin. Wenig später verlasse ich die Mainmetropole wieder allein, um in Karlsruhe nun nicht etwa die Grünewald-Ausstellung nachzulegen, sondern das dortige Weihnachtsmarkt-Unwesen zu ergründen. Fazit: alles ist wie in Berlin; der Badenser weiß nur nicht, was ein Grog ist, versteht dafür aber etwas von öffentlichen Lagerfeuern. Ein ähnliches Bild zeichnet sich in der ehemals famosen »Weinstube«: Wein kann man die Getränke dort nur formal nennen, die Polstersessel am Kamin sind aber noch immer unbezahlbar. A propos Wein! Reich-Ranicki behauptet ja, es gäbe keinen deutschen Autor, der ein vernünftiges Buch über 500 Seiten schreiben könne (Autorinnen mit unvernünftigen 560-Seiten-Büchern sind natürlich etwas anderes) — ich selbst glaube, daß es keinen vernünftigen deutschen Rotwein gibt. Dieses schöne Vorurteil möchte man nun in Rintheim zerstören, wo man nicht viel von diesen »Industrieweinen« aus Australien, Kalifornien, Südafrika, Chile oder gar Frankreich hält, die völlig überteuert, charakterlos und mit immergleichem Barrique überwürzt seien – und bittet am nächsten Abend zu einer Blindverkostung. Es treten an: ein hervorragender Franzose, ein einfacher Franzose, ein 2-Euro-Franzose vom Aldi sowie ein edler Pfälzer vom Weingut Bernhart(!). Und tatsächlich: Der einzige Wein, von dem nach zwei Sekunden nichts mehr zu schmecken ist, entpuppt sich als der Pfälzer. Außerdem erwähnenswert: Dem Rintheimer wird ausgerechnet von einem zufällig anwesenden Informatiker gesagt, er habe sehr theoretische Freunde, was praktisch natürlich umgekehrt ist. Weniger erwähnenswert dagegen ist nach sehr überschaubarer Schlafpause die noch nicht ganz abgeheiterte Rückfahrt. ßänk ju for träweling wif Deutsche Bahn, goodbye.


1.12.2007

Ich bin ganz unvermittelt am Ziel. Nach Furtwängler, Karajan und Loriot stehe endlich auch ich auf dem Dirigentenpodest der Berliner Philharmonie und bekomme Applaus. Tatsächlich sind die einzigen Zuschauer allerdings sämtlich Mitglieder des soeben fotografierten Orchesters, die auch nur applaudieren, weil ich slapstikartig hin- und hergerannt bin und die Bilder schnell im Kasten waren, aber das kann ich ja einfach verschweigen. Nicht verschweigen sollte man allerdings das schöne Konzert am folgenden Abend, wo die Damen und Herren uns die Missa Solemnis vortragen. Merke: Auch Berlin ist eine Messe wert!


17.11.2007

Improvisationsmärchenabend im Café Tasso! Es gibt einen König, Prinzessinnen auf Erbsen, Monster, Mondkalenderbutter, Giftanschläge, Hexereiverdächtige, übernatürliche Wesen, die plattdeutsche Spezialnamen tragen, die Wüste Ga- pardon, Gobi unerwartet in Indien, die sich leider nicht als Geschenk verpacken läßt, zahlreiche Gesangseinlagen und ein Feuerwerk lustiger Grimassen meiner (neben Cate und Nicole) liebsten Schauspielerin, die sich später noch als Fingerhütchenspielerin engagiert. Fazit: Märchen werden unterschätzt.


11.11.2007

Hamburg ist schön, das hört man immer wieder. Kein Wunder, denn meine Schwester lebt ja da. Ich raffe mich also endlich mal wieder auf und besuche die werdende Familie, bewundere die neue Wohnung und werde eingeladen, an einem kleinen Ausflug hinter die Stadtgrenzen teilzunehmen, wo es an der Elbe eine Schiffsbegrüßungsanlage gäbe. Einlaufende Schiffe aus Übersee heißt man dort mit entsprechender Nationalhymne willkommen, die auch ins anliegende Café übertragen wird. Wir staunen nicht wenig, als wir feststellen müssen, daß ausgerechnet heute hier das NDR-Hafenkonzert stattfindet und live in die ganze Welt gesendet wird. Andererseits – warum nicht! Bei Kännchenzwang und Musik vom Polizeiorchester Hamburg genießen wir auf Polsterstühlen den sonnigen Nachmittag unter all den Achzigjährigen, denen ein junger Mann jovial Anekdoten einer just verstorbenen Kiezgröße ausbreitet. Alles sehr authentisch. Wirklich verblüfft bin ich dann aber doch, als plötzlich der Special Guest auftritt, niemand anderes als Kinderliederlegende »Rolf Zuckowski und seine Freunde«! Vergangenheit ist in Deutschland tatsächlich niemals ganz vergangen.

Hier noch eine nächtliche Elbimpression...


1.11.2007

Besuch vom Zwilling, man muß für ein hierselbst spielendes Buch recherchieren. Und so machen wir eine Radtour de force, die soviel Kreuzberg enthält, wie eben in einen Tag passt, aber auch viel Sonne und Herbstlaub am ländlichen Landwehrkanal, um anschließend in der Bergmannstraße das Café au Spree zu eröffnen. Theoretisch, natürlich.


20.10.2007

Nachtaktivität, schon wieder: Wir stehen unvermittelt in einem zuvor verschlossenen Raum voller Werkzeug, der sich in einem Haus befindet, das gerade komplett von einer Untergrundparty in Beschlag genommen wird, auf der wir auch nur sind, weil Peter einen der DJs kennt. Wir schauen uns um. Da, ein Spiegel, Pulverspuren, ich nehme professionell eine Probe mit dem Zeigefinger und mache eine Geschmacksprobe. Komisch, irgendwie chemisch. Speed, kommentiert jemand aus dem Off. Soso, mal wieder alles sehr authentisch. Wir sind allerdings grade dabei, die Szene zu verlassen, und so bleibt uns nur noch übrig, den angeschlagenen Spitzenforscher durch verlassene Industriesavanne bis zur U-Bahn zu bringen, was Stoff für allerlei Anekdoten gibt, diese angesichts zusteigender Nahverkehrsschergen blitzartig wieder zu verlassen, und am Ende doch noch eine... eine Taxifahrt zu sehen.


19.10.2007

Was macht man als Erstsemester in Berlin? Genau, man geht zur Mensaparty in der FU, kauft sich ein Bier, stellt fest, daß Mensen überall in Deutschland gleich aussehen, und fühlt sich, als habe man eine Zeitreise in die eigene Vergangenheit gemacht: sehr merkwürdig, aber gar nicht schlecht! Der DJ spielt sogar »Walking on Sunshine«, und Peter überlegt, ob er nicht eine attraktive 18jährige anmachen soll: »Baby, ich könnte Dein Professor sein«. Wenn uns die Kommilitonin an der Theke bloß nicht siezen würde!


16.10.2007

Endlich mal wieder mit bester badischer Begleitung in der Akademie, es geht um »Das Jenseits im Diesseits« - es geht um Kölner Domfenster von Richter und Kölner Großmoscheebauten, eigentlich aber darum, daß wir Angst um unsere Meinungsfreiheit haben. Und leider hören wir dazu nichts neues. Immerhin erzählt der Herr Steck von einem schönen Jugendwerk, läßt (den) Günter Wallraff die bemerkenswerten Richter-Fenster im Dom kommentieren, Boris Groys kruden Unsinn über göttlich-tödliche Computer erzählen, dem man gar nicht anmerkt, wie faustdick er es eventuell doch hinter den Ohren hat, und nicht zuletzt Koranphilologen Michael Marx auftreten, der vielleicht die Entdeckung des Abends ist und deutlich macht, wo langfristige intelligente Islamreformprojekte ansetzen können — mit dem Nebeneffekt, daß Wallraff sich beim kritischen Nachfragen als ungebildeter Krawallmacher blamiert, ohne es vielleicht zu merken. Bei all dem habe ich genug Zeit, mir die seltsame Beleuchtung vor dem Fenster anzuschauen...


14.10.2007

Ob ich auf dem Posten sei. Es ist Sonntagmorgen, die Sonne scheint, und ich bin selbstverständlich auf dem Posten. Frau X. aus dem Berliner Norden hat brühwarm eine heiße Geschichte für mich. »Gestern abend habe ich im Netz einen Porno gesehen und hatte 3–4 parallele Chats, 3 offene Fenster und einen im Tee. Irgendwann schicke ich folgende Nachricht an meinen besten Freund: Ich gucke gerade Gina Wild beim Gangbang zu und einer meiner "Freunde" schickt mir immer intr. Pornolinks. Wenn man viele Fenster offen hat, kommt mal was durcheinander. Jetzt bitte den fälschlichen Adressaten raten!« — nein, darauf wäre ich nie gekommen: »V a t e r ! Es war mir noch nie etwas so peinlich.« Dies steigert beim Papa erwartungsgemäß den Respekt vor der zarten Tochter, die aber zunächst eine Stunde lang zittern und bangen muß, ob er denn noch mit ihr spricht. Doch er war nur abwesend, und nein, ihr bräuchte nichts peinlich zu sein, jeder gesunde Mensch sollte Pornos anschauen, man dürfe es nur nicht mit der Realität verwechseln: nach einem Rambo-Film rattere man ja auch nicht mit der MG die Leut nieder, und genauso dürfe man nach einem Porno eben nicht 10 Mann heimbringen, die dann über die arme Ehefrau herfallen. »Es war ein Gangbang mit 30 Männern! Das verrate ich ihm natürlich nicht. Gina sah aus wie der glücklichste Mensch der Welt.« — und jeder weiß, was für eine schlechte Schauspielerin sie ist!


13.10.2007

Pathoskonferenz in der Deutschen Oper, mit Sloterdijk, Schlingensief und Wolfgang Rihm, »Die Sehnsucht nach dem Grandiosen«! Ein kurzer Eindruck, man bräuchte Seiten, um die Sache ernsthaft wiederzugeben, ohne dabei die Hälfte falsch darzustellen. Also los.

Es riecht nach dem Parfum älterer Damen, die vielleicht sogar aus Steglitz angereist sind, und beginnt mit gelehrten Worten des Ethnologen Jans-Jürgen Heinrichs, der vom Auftreten her dem Umfeld Goethes entsprungen sein könnte. Was ist Pathos? Schlingensief meldet sich zu Wort, »Ich kann ja immer nur über mich reden, das wissen ja alle hier«, hervorragend, »Pathos ist, wenn da was war, das nicht mehr ist, aber man will, daß es wieder ist«, und so weiter, das Publikum meint, daß sich der Junge lächerlich macht, bis er den Tod seines Vaters erwähnt. Zeit für Sloterdijk! Peter macht uns sofort klar, daß allein er uns ein ernsthaftes Bild vermitteln kann: Der Pathosbegriff stamme aus der sterbenden Athener Demokratie, aus den Schriften von Aristoteles natürlich, der festhielt, daß die Demokratie, also Wortherrschaft, nur mit Logos, Ethos und eben Pathos funktioniere — und so weiter, bis zur zweiten großen Pathoswende, dem Ende des ersten Weltkriegs. Seither hat Deutschland, »um es mit einem Begriff aus dem Gewerkschaftsumfeld zu sagen, ein Ergriffenheitsdefizit«. Rihm fragt sich daraufhin, ob wir überhaupt genug Konferenzpathos für eine Pathoskonferenz hätten, und stellt fest, daß Oper immer Ernstfall ist. Pathos ist immer bestelltes Gefühl, Sloti wieder, und daß man mit Göbbels' Sportpalastrede draußen eine noch größere Oper entdeckt habe. Nun gewinnt die Sache Fahrt, es sprudeln famose Anekdoten über unerwartete Treffen mit Riefenstahl in der tiefsten Wüste und historische Besuche von Marx-Brothers-Filmen. A propos Oper, Schlingensief stellt fest, daß immer geklatscht würde, wenn ein Moment der Ergriffenheit drohe. Eine Sekunde Stille nach höchster Dramatik, und dann wird geklatscht! Die Zukunft der Oper liegt also darin, daß man sagt: »Ja, ich heule gern. Ich kann es mir leisten«, das ist doch mal eine Aussage. Wir nähern uns dem Höhepunkt, Sloterdijk führt das Wort Hysterieexport ein, »Europäer fassen sich an den Kopf, wenn sie Lang Lang Klavier spielen sehen – und möchten sagen So war es nicht gemeint!«, und plötzlich brandet Applaus auf, der gar nicht mehr aufhört, Sloterdijk und die anderen schauen sich so verblüfft an wie die Menschen im Publikum, und aus, aus, aus, die Konferenz ist aus! Man sollte klatschen, wenn es am schönsten ist.

Zuletzt hüpfe ich auf die Bühne und wecke Schlingensiefs Interesse am irrelevantesten Kulturmagazin Europas, um die Chance dann ungenutzt verstreichen zu lassen. Man muß sich immer treu bleiben.


30.9.2007

Wir sitzen nachts am Lagerfeuer an einem See in der brandenburgischen Wildnis. Jeder medienaffine Mensch ahnt, was nun gleich kommen muß: der Neonazi-Überfall! Aber immer mit der Ruhe, wir haben zunächst unbehelligt im Fliegenpilz-Wald Brennholz gesammelt, einen Hefeteig angesetzt, das Zelt aufgeschlagen, Feuer gemacht, gekocht und Stockbrot gebacken, das wir nun verzehren. Nun allerdings bekommen wir doch Gesellschaft. Und zwar von einer Gruppe brandenburgischer Angler mit A-Klasse, Partyzelt und Radio, die sich ebenfalls zum Feuer gesellt. Kurz darauf sind wir in ein Gespräch verstrickt. Warum wir als Wissenschaftler denn nicht auswandern würden, hier gäbe es doch keine Zukunft, so beginnt die Sache. Nach kurzer Zeit allerdings wird zornig darüber geschimpft, daß man als Dachdecker nur 7 Euro pro Stunde verdiene, während ein regionaler SPD-Vertreter über 4000 Tacken im Monat bekommen würde. Ich kommentiere das ganze verhalten neoliberal, während ein weiterer Angler beginnt, uns der Reihe nach alle bekannten Verschwörungstheorien aus dem Netz unter die Nase zu reiben, von der Mondlandung bis zum 11. September, wo angeblich keine Juden gestorben seien. Als er schließlich ausführt, das HIV in geheimen US-Labors fabriziert worden sei, wendet sich Paul mit Grausen zum Zelt, wahrend ich noch eine Minute lang dem zweiten höflich die Vorzüge lebenslangen Lernens zu vermitteln suche, was diesen in Rage bringt. Schließlich verlasse auch ich den Feuerkreis und höre auf dem Weg zum Zelt, wie die Lage eskaliert und wüste Schimpforgien über uns ausbrechen. Und so warten wir eine Weile im Zelt, ob denn nun Besuch mit Fackeln und Knüppeln kommt, doch die Situation entspannt sich, und am nächsten Morgen, nach einem lebensgefährlichen Bad im Eiswasser, werden wir sogar freundlich gegrüßt. Kann man sich auf nichts mehr verlassen?


17.9.2007

Was muß ich denn da lesen! In Wahrheit ist es so: Meine Adoptivschwester artikuliert den Wunsch nach einem authentischen, aber trotzdem offiziellen Foto. Morgens allerdings geht das nicht, sie sähe nicht aus wie sie selbst, die Atopiker-Augen. Wir frühstücken also erst und fahren dann zu ihrer Theaterklasse in die Stadt, wo ich als Fotograf vorgestellt und beauftragt werde, binnen einer Stunde von allen 40 Kindern ebenfalls schnell ein paar authentische, offizielle Bilder zu machen. Sodann geht es auf die Insel und in ein Café, wo man in der Sonne sitzen kann. Schön hier, ich hege allerdings Zweifel, ob das Licht nicht etwas zu hart für ein Verlagsfoto ist. Besseres Licht gibt es wenige Meter weiter auf einem schmalen Wanderweg. Einen Moment Geduld, denke ich, und wir haben es. Aber da habe ich die Rechnung ohne die R. gemacht, die viel lieber einen Klassiker proben will — Der Widerspenstigen Fotografierung. Denn Madame möchte zwar ein Bild haben, dafür allerdings nicht fotografiert werden. Hier auf dem Pfad Klick! ist es ihr nicht recht, da kommen ja zwei Leute, was sollten die bloß von uns Klick! denken? Unter abgelegeneren Weiden starte ich den nächsten Versuch, ernte aber nur verschiedene Varianten eines Klick! immer angestrengteren Lächelns. »Eigentlich will ich gar kein Foto«, stellt sie fest, und daß Paßbildautomaten ihre Vorzüge hätten. Wir wandern nach kurzem Streit weiter, während ich eine vorsichtige Desensibilisierung durch gelegentliche Klick! Schnappschüsse versuche, ihre defätistischen Ambitionen ignoriere und sie durch eine Reetwiese ans Wasser bugsiere. Hier gibt es eine schöne Kulisse, keine Zuschauer und inzwischen sogar sanftes Abendlicht. Eigentlich müßte ich Klick! jetzt nur noch warten, bis sich die riesige Wolke über uns verflüchtigt hat, dann noch eine Weile Klick! weiterfotografieren, bis die für die Verkrampfung zuständigen Gesichtsmuskeln Klick zu erschöpft für ihre Aufgabe sind, dann zum Schein die Sitzung beenden, um dann Klick! das richtige Bild... verdammt, der Akku ist leer, und das perfekte Bild verlischt ungespeichert auf dem Display. Künstler-, pardon, Handwerkerpech. So liegen wir also in der Abendsonne, in der ich mit handgewärmtem Akku noch die üblichen authentischen, nicht offiziellen Bilder machen kann.

P.S.: Nicht offiziell ist wohl auch dieser Hinweis, den wir später auf der Seebrücke in Zinnowitz finden.


15.9.2007

Documenta - hier folgt in Kürze eine Bildergalerie


6.9.2007

»Sieht nach New York der 70er aus, ein wenig Woody Allen« — dieses Prädikat bekommt einen unangenehmen Beigeschmack, wenn die eigene Frisur so beurteilt wird. Morgen gehe ich zum Friseur, jetzt aber sitzen wir mit russischem Starkbier auf einer Parkbank am festlich erleuchteten Brandenburger Tor und genießen die unwirkliche Abendstimmung auf dem Pariser Platz, die es in dieser andächtigen Erhabenheit nur hier gibt...


31.8.2007

Ich beherberge als guter Atheist zwei religiöse Fundamentalistinnen, die einen frühen Easyjet-Flug haben, und versuche bis in die frühen Morgenstunden, ihre Seelen vor dem Kreationismus zu retten. Allein vergeblich, wie man sich denken kann, doch der Versuch ist ja immerhin ein Zeichen guten Willens. Oder umgekehrt, hihi.


26.8.2007

Anlässlich eines Staatsbesuchs muß ich feststellen, daß man für Gäste des Bundespräsidenten eigens Kalligraphen beschäftigt, welche die entsprechenden Tischkärtchen per Hand beschreiben. Dies aber leider mit standardisierten Einzelbuchstaben, die nicht immer ineinander überlaufen (man beachte die Bögen nach dem e)! Derlei mag für Ministerpräsidenten reichen – von einem Köhler muß man mehr erwarten!

Wenig später geht es zum Oberbefehlshaber der Streitkräfte in den Bendlerblock, wo dieser höchstselbst eine Autogrammstunde gibt. Unglücklicherweise habe ich keinen unterschreibbaren Angriffsbefehl mitgebracht, der Witz war zu ausgelutscht, und so endet der Tag ohne neue deutsch-polnische Irritationen.

Nachtrag! Eben sehe ich, daß man im Präsidialamt für Altkanzler Schmidt durch aus in der Lage ist, akzeptable Kalligraphie zu liefern.


25.8.2007

Lange Nacht der Museen. Wir sehen japanische Plakate im Kulturforum, die Maschinenmaria und Darth Vader im Filmmuseum, wo feinerweise ein Marlene-Dietrich-Schrein die Besucher direkt an die Riefenstahl-Sammlung weitergibt, sowie coole Autos und merkwürdige Kunstwerke bei cooler Musik in der Schwangeren Auster, die merkwürdig beleuchtet ist.


6.8.2007

Nicht nur eine Ratte in der Wohnung, Altpapierberge im Treppenhaus und eine Großbaustelle vor der Nase, sondern auch noch Straßenschilder, die schwören, die falsche Richtung zu zeigen!


5.8.2007

Heute zuerst ein Straßenfest im Wedding erlebt, das ausschließlich aus Fast Food und billigem Tand bestand, dann eine große Portion Räucherlachs-Sushirollen aus badischer Hand goutiert, zuvor wahnsinnige IT-Unternehmer im Haus gehabt und sie beim Synchrontippen auf ihren MacBookPros fotografiert, zuletzt aber in großer Runde Death Proof geschaut, was in FA(S)Z-Kreisen verhalten kommentiert wird, IT-Unternehmer verstört zurückläßt und zukünftige Ex-Siemens-Ingenieure und mich veranlaßt, den Film gleich ein zweites Mal anzuschauen.


27.7.2007

Endlich: die erste Incal-Ausstellung, Thema: Alles umsonst! Vernissage ist am 26.4.2008 im Cafe Tasso in Anwesenheit von Bundespräsident Horst Köhler (angefragt)! Alle Eingeladenen sind herzlich eingeladen!


26.7.2007

Zwei übermüdete Fachkräfte stellen fest, daß sie genug von Standard-Anwendungen haben. Wir gehen also in den Tresor, der wieder auferstanden und wo heute Tanzmusik im Programm ist, und verhelfen als gute Europäer sogar noch einer knapp minderjährigen Rumänin zum Einlass. Wir sind allerdings selbst keine 17 mehr, was uns spätestens klar wird, als Peter mit Respekt gegenüber dem Alter angesprochen wird: »Haben Sie Extacy?«. Ein weiterer Nachteil: Scheppernder Bass, schlechte Sicht und schlechte Luft sind dem Club erhalten geblieben, die Tresortüren, rostigen Gitter und Panzerschränke aber nicht. Die schöne Bunker-Atmosphäre hat sich in den Weiten der neuen Räume verloren, die immerhin einige Ecken bieten, in denen man sich fast unbemerkt erleichtern kann. Beim zweiten Blick stellen wir dann fest, daß sich der Mann auf gewisse Weise zwar erleichtert, die vor ihm hockende Frau dabei aber hilft! Bemerkenswert, wann könnte man das z.B. in der Philharmonie erleben? Obwohl Sir Simon ja fast alles zuzutrauen ist... genau wie Hegel.


16.7.2007

Theoretische Segelprüfung. Peter hat auf dem gestrigen Rückflug aus Taiwan mit dem Lernen begonnen, ich betrunken auf der Rückzugfahrt. Wir lernen noch in der U-Bahn zum Prüfungsort und lesen die Fragen teils zum ersten Mal. Der Ort ist ein Reichsjugendsportbund-Gebäude neben dem Olympiastadion, und der Pförtner sitzt ebendort seit 1936. »Jogendsportbond Bärlin!« meldet er sich schnarrend am Telefon, kurz darauf schmeißt er alle raus, die im kühlen Foyer herumlungern. »Gehense da auf die Terrasse, das hat einen bestimmten Grund!«. Dort teilt uns dann die Prüfungsleiterin mit, wie wir uns zu verhalten haben, und übertrifft den Pförtner im Prüfungsverlauf um eine ganze Größenordnung, was autoritäres, unfreundliches Gebaren angeht. Mitten in ihrer Rede kommt unvermittelt »Guten Tag übrigens — ich habe Sie wahrscheinlich vorhin schon begrüßt, aber das haben Sie bestimmt schon wieder vergessen«. Um es kurz zu machen: wir ignorieren die Freundlichkeiten, bestehen beide mühelos und dürfen fortan mit PS-starken Angeberrennbooten über die Havel heizen, juhu!


15.7.2007

Hochzeit von Marc und Viola - hier folgt in Kürze eine Bildergalerie


1.7.2007

»Domino... Du enttäuschst mich.« – so kennen und lieben wir Brandauer, als leisen, gefährlichen Bond-Gegner Largo, vor dem Kim Basinger um ihr Leben zittern muß. Heute aber spielt er den Friedländer in einer zehnstündigen Extremveranstaltung, Peter Stein hat wieder zugeschlagen, Schillers ganzer Wallenstein in einem Stück! Das Spektakel beginnt ohne Verlierung einiger Minuten, Statisten verlustieren sich en masse im Kunstschnee, und doch muß man auf den Feldherren selbst eine ganze Weile warten. Schließlich aber erscheint er in ganzer Pracht, die im Laufe des Stückes bis zur Statuenhaftigkeit ausgebaut wird, und spricht zu uns. Und eben hier wird klar, daß Brandauer kein geborener Feldherr ist, der seine Söldner mit mitreißenden Reden zum Gemetzel animieren kann. Er hat dazu einfach die falsche Stimme. Wallenstein schreit oft im Stück, und dann ist die Stimme zu nahe daran, sich zu überschlagen, zu hoch, zu quengelich, sogar etwas bemüht. Brandauer... Du enttäuschst mich. Allerdings doch nicht zu sehr, denn an seiner Schauspielkunst kann sonst nicht das mindeste ausgesetzt werden, und, um es kurz zu machen: der ganze Rest stimmt und ist über zehn Stunden so hervorragend in Szene gesetzt, daß die Zeit um so schneller vergeht, je weiter man sich dem Finale nähert. Und nicht zuletzt können auch die anderen Schauspieler Brandauer das Wasser reichen, so daß man glücklich heimgeht und Neukölln zu einer Hochkulturveranstaltung beglückwünscht, in deren Pausen man problemlos einen Döner essen kann.


24.6.2007

Incal dankt allen Gästen von nah und weniger nah. Sie haben alles vorbildlich aufgegessen. Der harte Kern verspürte noch einen gewissen Bewegungsdrang. Morgens unerwarteter Besuch am Fenster. Die 2,10 Meter große Gestalt ist dann aber doch nur ein Schlafsack...


20.6.2007

Man wird nicht jünger! Zum Glück aber auch nicht Jünger, außer vielleicht der Beastie Boys, die zwar selbst nicht mehr jung sind, aber durchaus als Fitness-Trainer durchgehen. Sie geben einen »Gala-Abend« in der Columbia-Halle um die Ecke, natürlich in feinem Zwirn, weisen ein Band-Mitglied zurecht, das sich das Jackett ausziehen will – Es ist heiß, aber es gibt hier Prioritäten! &ndash und trinken ostentativ Dom Perignon (der gut ist, aber gerade von Laien überbewertet wird). Der Start ist überraschend. Jemand muß mich denunziert haben, denn gleich zu Beginn bringen sie ein Geburtstagslied, mixen dann in bewährter Manier Instrumentalstücke mit Hüpf-Klassikern, grandios: Mixmaster Mike, und spielen dabei die ganze Ill Communication runter, mit Sabotage als fulminantem Finale. Die Bayer-Schering-Gang ist sehr angetan — und natürlich angetrunken.


15.6.2007

Der Mann ohne Eigenschaften am DT, nix wie hin! Drinnen merke ich, daß die Suche nach der verlorenen Zeit als anderthalbstündige, auf das wesentliche reduzierte Theaterauffürung offensichtlich absurd wäre, und daß es hier ja ebenso sein muß. Und so sieht es aus: Clarisse, Diotima und Zwilling Agathe buhlen parallel um Ulrich. Der ist nicht mal eine schwammige Inhaltsangabe seiner selbst, Diotima nackt und ohne damenhafte Größe, Agathe uckermärkisch untersetzt und ohne den Hauch inzestuöser Spannung, Clarisse mädchenhaft und ohne Nietzsche oder sonstige intellektuelle Schärfe. Außerdem gibt es den immerhin glaubwürdig eifersüchtigen Walther und einen lieblos reingesetzten Moosbrugger, sowie einen durch die Szenen steppenden Erzähler, der kurze Gefühls- und Intentionserklärungen gibt. Arnheim, Bonadea, Diotimas Mann Tuzzi, General Stumm von Bordwehr – gestrichen, Parallelaktion, Freier Wille und die Unmöglichkeit der Nächstenliebe – gestrichen, das Dreieck Diotima – Arnheim – Ulrichs und Agathes Verschmelzungsidee, die Sinnlosigkeit von Leistungen in einer Welt, in der Fußballer und Rennpferde als genial bezeichnet werden – gestrichen. Alles in allem aber doch ein netter Aufhänger, das Buch noch einmal zu lesen.


14.6.2007

Elfriede J. hat in der Zeitung etwas über internationale Standards in der österreichischen Prostitution gelesen, sich aufgeregt und ein Burgtheaterstück geschrieben, das wir nun sehen. »Über Tiere«, also Menschen. Zuerst scheint es eine Lesung zu sein, »Begierde & Fahrerlaubnis (eine Pornographie)« von 1986, Frauen lesen an Schreibtischen und drehen sich um einen Mann, der derweil im Hintergrund verrecken darf, jedoch nicht ganz. Dann aber geht es vor allem um Griechisch und Französisch mit ohne. Und um Kunden, die internationale Spitze verlangen, »und das bist Du nicht!«, und andere Feinheiten Wiener Escort-Agenturen. Plötzlich sitzt Elfriede selbst am Schreibtisch und kommentiert das Treiben der slawischen Prostituierten (»Aus Landau kommscht? Hajo, ich bin uch Pälzerin!«) mit ihrem Wiener Akzent: »Das ist ja alles sehr authentisch«, auch wenn es dann leider doch nicht Elfriede persönlich ist, die »ranzige Feministin«. Dies erwähne ich nur, weil wir jetzt häufiger von internationalen Standards sprechen, ohne mit.


13.6.2007

Incal ist wieder da. Und hat jetzt ein Literaturforum. Außerdem ein weiteres Regenfoto, das fast ein Gurski ist, wenn man es sehr groß abzieht. Die Kuba-Karten gibt es oben. Weiter unten auf dieser Seite einige Nachträge. Man wünscht viel Vergnügen, hier und da.


10.6.2007

Wir haben ein neues Modelabel, PRADA*MEINHOF! Mit Mao Polo, Karl Lagerboss, Vivian Westfront und vor allem Duce&Gabbana ergeben sich Möglichkeiten, die Modewelt zu revolutionieren. Wer macht mit?


26.5.2007

Ein weiterer Karneval der Kulturen, in dessen Umfeld man den Galeristen, einige Hunde, ethnische Minderheiten, den Zwilling und viele Menschen draußen vor der Tür beobachten kann. Und ich einen wichtigen Schnappschuß mache, der gestellt aussieht.


24.5.2007

Akademie der Künste, es geht um Politik und Medien, und Präsident Staeck zeigt uns gleich, daß auch er schon Medienopfer wurde. Kollege Bundestagspräsident Lammert ist weniger zu Plaudereien aufgelegt und als erklärter Gegner der Talkshowkultur darin konsequent, sich auf kurze, sachliche und sehr durchdachte Stellungnahmen zu beschränken, während Leinemann von der FR die erste Gelegenheit nutzt, sich zehnminütig über das neue Format seiner Gazette zu verbreiten. Neben der netten Katrin Göring-Eckard haben wir noch den pointierten Hanseaten Michael Naumann an Bord, der geschickt eine politische Anekdote nutzt, um einzustreuen, daß er E-Mail-Kontakt mit »Tom« Pynchon hat, was seine Wirkung bei mir überhaupt nicht verfehlt. Alter Angeber! Der einsilbige Lammert stolpert daraufhin einmal absichtlich über einen spitzen Stein, ein feiner Kommentar zum hanseatischen Aristokratentum, un anschließend mit einem Kollegen in angeregter Unterhaltung zum Bundestag zurückzulaufen. Konstatiere: Lammert ist ein cooler Typ, die Adresse von Tom hätte ich aber auch ganz gern.


22.5.2007

Mario hat eine neue Ausstellung am Start, ich sehe ihn zunehmend als Galeristen des Außenministeriums. Hintergrund ist die deutsch-chinesische Freundschaft, wenn man so will, und ausgestellt wird die dreifach red-dot-prämierte Designerin Yang Liu, die zu einem Stichwort auf einer blauen Tafel die Lage bei uns, auf einer roten daneben die Lage in China darstellt. Ich bin von Ausstellung usw. angetan und stelle daheim fest, daß Yang Liu sogar schon Briefmarken für die deutsche Post entworfen hat, die mehr über unser Land sagen als eine komplette Spiegel-Ausgabe.


20.5.2007

Ein kurzer Abstecher in die Halle der designmai-Youngster, wo Frauen aus Polen echte Computerviren auf CDs gepresst haben und verkaufen, pazifistische Japaner Waffen verbiegen, verbogene Tapeten und Glückskekse aus Porzellan zu bestaunen sind und ein Kicker bereitsteht, dessen Figuren ägyptische Götter bzw. Osterinsel-Moais sind. Persönlicher Favourit: Eine Point-and-shoot-Kamera!


19.5.2007

»MA-TE-RI-AL! Nicht Matajaal! Sie müssen richtig sprechen!« Max Goldt erzählt uns von seiner Begegnung mit dem Geist Preußens in Person einer alten Diva, die ihm als Dank für Techno-Vorführungen mit einer halbstündigen Aufzeichnung ritueller Trommelmusik aus Afrika foltert – und anschließend klassisches Liedgut vortragen läßt. Außerdem hat er noch einen kleinen Text mit gerade für Freiberufler erschreckend realistischen Beschreibungen dabei: »Prekariat und Prokrastination«. Nach Ausführungen etwa über das Prokrastinationsputzen folgt das Finale. »Prokrastinieren ist inzwischen als Krankheit anerkannt. Merkwürdigerweise fühlt sich der Prokrastinierer dadurch erleichtert«. Ich hoffe insgeheim, nur eingebildeter Kranker zu sein.


17.5.2007

Incal in der Philharmonie, dank einer spontan vom generösen DSO spendierten Karte samt Fotolizenz. Vorweg gibt es einen Vortrag über Schönberg, dessen Pelleas und Melisande wir danach hören werden — »Hier in Preußen könnte man ja sagen, das habe Marschcharakter«, meint der Vortragende zu einigen Passagen, die mir dann später entgehen. Zusätzlich gibt es noch das Violinkonzert von Brahms, »Ein Name«, wie Loriot einmal nicht zu Unrecht feststellte, »den man sich auch in Berlin wird merken müssen«. An der Bratsche, pardon, Violine ist heute Mutters Liebling Wei Lu, und er spielt auf seiner Stradivari, daß selbst Banausen wie ich gezwungen sind, ordentlich mit den Ohren schlackern.


11.5.2007

Als Europäisches Kulturmagazin ist Incal natürlich auch auf dem Europaforum, wo man tatsächlich allerlei Europäer sieht, etwa Herrn Barroso und natürlich auch den Gastgeber. Nicht ganz so weltgewandt ist dieser Herr, der immerhin eine europäische Konditorenlehre beginnt, während der slowenische Ex-Ministerpräsident zum Vergnügen der Gäste die Ode an die Freude auf seiner Mundharmonika improvisiert.
Nur wenig später redet sich Wolfgang S. so sympathisch in Rage, daß ich fast geneigt bin, über seine zahlreichen verfassungsfeindlichen Ambitionen hiwegzusehen, und Angela M. legt überraschend den floskelfreisten Auftritt hin, den ich bislang in der Politik gesehen habe, vielleicht sogar den unterhaltsamsten.
Weiterhin erwähnenswert: ein amüsanter Cem Özdemir, eine etwas bittere Rita Süssmuth, was natürlich traurig macht, ein überraschend agiler Wolfgang Gerhardt – sowie ein voll und ganz überzeugender KaDeWe-Partyservice.
Zuletzt gibt es am nächsten Morgen mit Peter S. noch einen feinen Abschluß aus Karlsruhe. Sloterdijk ist natürlich auch Europäer, hat Zorn und Zeit daheimgelassen (natürlich nur physikalisch!) und kommt schnell zu Αινείας bzw. Vergils Aeneis, die Gründungslegende der antiken EU: »Ich will nicht soweit gehen, daß der erste Europäer ein Türke war«, aber fest stehe, daß Europa ein Rückzugsraum der Gescheiterten sei. Und, finde ich als Berliner, »das ist auch gut so«.

Am Abend wird schnell umdekoriert und ein thematisch passender Medienpreis verliehen, Gastgeber Frank zieht sich dafür sogar einen Frack an. Bemerkenswert ist hier vor allem die Aftershow-Party, für die man uns in eine zukünftige U-Bahn-Station am Potsdamer Platz chauffiert. Dortselbst hat man alles mit rotem Teppich, Kristallüstern und silbernen Kerzenständern dekoriert und dabei stets den psychologisch wichtigen Ausblick auf das gemeine Volk. Am vorläufigen Ende das Tunnels gibt es tatsächlich Licht, durch das zu Wandern seinen Reiz hat. Vor allem aber spielt wieder die unvermutet coole Tatort-Band von Miroslav Nemec, beginnend mit Sgt. Pepper, und allein Wowereit fehlt zum Glück (der Veranstalter).


6.5.2007

Alle drei Nasen lang tut es gut, jemandem tief in die Augen zu schauen. Ich suche weitere Mitspieler.


4.5.2007

In Berlin gibt es ja lange Nächte für alles mögliche, und nun auch die der Galerien. Peter und ich inspizieren Papierberge und tschechische Bushaltestellen bei Max Hetzler, stellen fest, daß es ganz einfach ist, bei Mc Kinsey reinzukommen, und schlagen uns dann nach Mitte durch, wo ich in einem Hinterhof am Checkpoint Charlie zu einem Fotoduell mit einer Frau in blau gezwungen werde. Vor der Tür gibt es dann Musik und Freibier, und schon ist der Abend gelungen.


1.5.2007

Tradition ist die Illusion der Permanenz! Trotzdem wird sie fortgesetzt, und zwar mit einer traditionellen Hochzeitsfoto-Publikation auf Incal. Diesmal hat es Carsten und Birgit erwischt, man beachte weiterhin a) den Bundespräsidenten und b) die besondere Härte einer Feier im Emsland. Außerdem macht das Wunderkind a.D. alle mit den Katzenjungen verrückt, die in einem Busch entdeckt werden. Und hier noch ein Stilleben vom nächsten Nachmittag bei Familie Behrens.


16.4.2007

»Und was machen Sie in Berlin?« — manchmal, wenn man es gar nicht sein will: manchmal ist man schlagfertig. »Ich bin Museumsdirektor«, antworte ich vollen Ernstes. Des Museums, dessen einziges Ausstellungsobjekt ich selbst bin, will ich das Zitat ergänzen, aber man fragt nicht weiter. Ich bin in Greifswald und Auf der Suche nach dem verlorenen Zett bei einem Theatervorbereitungstreffen gelandet, wo mir ein vielversprechender Autor seinen letzten Deutschaufsatz mitgibt, den ich etwas später publiziere. Tags drauf viel Sonne und viele Kreuzottern auf Hiddensee, wo wir die Füße ins kalte Wasser stecken und eine reichlich dekadente Mülltonne entdecken, ich an einer weiteren Kopfbedeckung aber vorbeischramme. Tags drauf viele Kinder und eine Katastrophenparty, und wiederum tags drauf trage ich tatsächlich das Touristenhemd, was ich schon immer haben wollte, und lerne Paula kennen, den Café-Hund, der das Bellen verlor.


7.4.2007

Besuch daheim und bei Familie Barthold, wo Malin mit einem Rührer kämpft, der zu stark für sie ist, ich eine neue Mütze bekomme und nebenbei diese Einladungskarte entsteht, jedenfalls das Foto dazu.


9.-25.3.2007

Incal im sozialistischen Ausland! Mehr dazu im Postkartenbereich und irgendwann bei Incal Photographie.


5.3.2007

Besuch bei den Brauers im beschaulichen Glienicke-Nordbahn, und ich freue mich jedes Mal wieder, daß sie in der »Stolper Straße« wohnen.


2.3.2007

Wenn man emeritierter Professor für vergleichende Literaturwissenschaft ist und somit alles erreicht hat im Leben, dann kann man durchaus mit einem Freund, der selbst Lyriker ist und über völlig kritiklose Anhänger verfügt, eine kleine Wette abschließen – daß man nämlich bei einem gemeinsamen Lese- und Diskussionsabend ebendiesen Anhängern den hirnrissigsten Quark vortragen kann, ohne daß dies bemerkt wird. Als Preis vereinbart man eine Kiste ausgezeichneten Rotweins, denn Gaumenfreuden sind bekanntlich die wichtigsten, die im hohen Alter noch bleiben.
Mit kritischer Begleitung aus Baden verfolge ich den Auftritt von George Steiner und Durs Grünbaum in der ADK, Thema: »Warum Denken traurig macht«. Nach kurzem gegenseitigen Eierschaukeln (»Ich hatte die erschütternde Ehre, ihn daundda kennenzulernen... ein primärer Denker...«) geht es los. Grünbein beschränkt sich auf Harmloses, Melancholie etwa als von außen kommend zu verorten, heute also als globalisierungsbedingt, und in Folge mäßigend auf den Freund einzuwirken. Steiner haut auf die Pauke. »Wir leben in einer Kultur, die keine Angst mehr vor einem Gedicht hat! Stalin zitterte vor manchen Zeilen! Was ist denn seit der Wende aus Osteuropa gekommen? Erbärmliches!«, »Wenn man für ein Hegel-Zitat hingerichtet wird, so ist das eine Ehre«; einmal bat man ihn in Oxford, dies bitte zurückzunehmen, woraufhin er lieber eine Professur in Genf annahm. Hegel, ich muß doch sehr bitten und bin erleichtert, daß auf England noch Verlaß ist. Dort übrigens sei etwas wie Heidegger leider nicht möglich, wegen der Kolonien und Inder und Australier &mdash Wir haben uns aber immerhin bemüht, Herr Steiner, um Kolonien und Weltherrschaft. Und so geht es weiter mit der Idiotie, zuletzt wird beklagt, daß früher in Ostberlin Literaturklassiker in einem großen Buchladen für 20 Pfennig erhältlich waren, heute im Kapitalismus aber die Preise astronomisch seien und an Stelle besagten Ladens ein riesiger Sex-Shop stehe: O Welt! Und während Steiner von treuen Fans beklatscht wird, denen er aus der Seele spicht, die sich berührt fühlen und sogar: verstanden, und zufrieden an den gewonnenen Rotwein denkt, überlegt Christine, ihn noch schnell nach der Adresse des Sex-Ladens zu fragen. Immerhin haben wir jetzt endlich ein Feindbild.


1.3.2007

Sonnenregen, ein Bild für die Wettervögel.


23.2.2007

Besuch vom Zwilling, der mir eine venezianische Maske mitbringt und mit wenigen Handgriffen ein tiefes Gefühl von Heimat – ja, von Europa verbreitet. Zu dritt mit Carolin und Hut geht es zu Bunbury und ins anarchistische High End, wo man auf dem Flur tanzen kann, nicht ohne zuvor von Schatzi (im Kostüm) und auf offener Straße abgefangen zu werden, morgens durch und auf den Kreuzberg, in ein sofort literarisches Café mit sagenhaftem Schokoladenkuchen, wo der Z. am Wettervogel weiterschreibt, dann in Irenes grandioses Improvisationstheater und zuletzt mit Peter und Izumi nach Cocktailzwischenstop in die Russendisko zum Austoben. Das alles könnte man als erfülltes Wochenende bezeichnen.


13.2.2007

Preisverleihung Kurzfilme. Festspielleiter Kosslick ist bestens gelaunt, begrüßt zwei Mitglieder der Jury als Exfreundinnen, um der dritten umgehend Avancen zu machen. Shortness matters, und die Moderatorin bedauert umgehend, viel zu lang für die Veranstaltung zu sein. »Wenn Sie nur 20 Minuten Zeit hätten, was würden Sie dann tun? Abgeseh-« - aber sie ist zu langsam, Kossi besteht selbstverständlich auf Sex. Wer wollte ihm das verübeln? Aber zu den Filmen. Der DAAD-Sonderpreis geht an ein Frühwerk, in dem der migrationshintergründige Regisseur seine Mutter zur Cineastin erzieht, indem er sie Vokabeln abfragt, z.B. »Roman Polanski« oder, ganz schwierig, »Lars von Trier«. Während des Abspanns beweist sie, daß sie das Zeug dazu hat: »Nicht aufstehen, die Credits laufen noch!«. Bester Film des Abends, aber natürlich nur Silber: Decroche (»Heb ab!«), in dem eine Frau vom Fenster aus eine öffentliche Telefonzelle beobachtet und immer dort anruft, wenn ein attraktiver Mann vorbeiläuft. Gold dagegen geht an Raak (»Treffer«), eine aus vier Perspektiven gezeigte holländische Tragödie, in der ein zorniger Junge zuletzt von einer Brücke einen Stein auf ein Auto fallen läßt, in das dummerweise seine Mutter eingestiegen ist.

Schade finde ich übrigens, daß die Kurzfilm-Bären etwas unspektakulär aussehen. Zuletzt stoße ich noch auf diese Webseite, vermutlich ein Kunstprojekt.


11.2.2007

Es gibt in diesem Jahr einen Film, dessen Thema mich von Beginn an fasziniert hat: Die Fälscher, ein Film über die bereits erwähnte Aktion Bernhard, und genau wie damals eine deutsch-österreichische Koproduktion. Wie kommt man nun als nicht akkreditierter Fälscher in diesen Film? Man muß es wollen. Die Umsetzung ist dann jämmerlich einfach, wenn man es mit Banknotenfälschung vergleicht, die Kartenabreißer schauen im Gedränge gerade mal auf die Veranstaltungsnummer, die vorab herauszufinden die größte Leistung ist, und würdigen den Rest der hervorragend gestalteten Karte keines Blickes. Ritsch, und schon ist man drin.

Weiter geht's mit legalen Billetts und dem Kurzfilmprogramm Laborsituationen, wo alle Filme gezeigt werden, die man sonst in diesen Boxen auf entsprechenden Medienkunst-Ausstellungen findet. Ton sei wichtig, konstatieren die anwesenden Regisseure anschließend unisono, zum Beispiel also ein Endlos-Schallplattenknacken oder sich wiederholende MIDI-Geigenklänge. Zum im sehr schnellen Vorlauf abgefilmten albanischen Propagandavideo »Stalin Spring« kommentiert der Künstler, die Menschen in Albanien wüßten nicht, was sie sagen sollen. Er wüßte nicht viel zu sagen. Musik sei wichtig. Und er könne auch singen (das Publikum bestürmt ihn!), aber nicht heute. Nun gut! Der letzte Film zeigt liebevoll einen Hund, der einem Kaffeesatzleser bei der Arbeit zuschaut. Dieser erzählt seiner Kundin, was sie hören möchte, und sie unterstützt ihn dabei. Das ganze läuft schulbuchmäßig ab und sorgt für erhebliche Heiterkeit. Diese wird am Ende noch gesteigert, als die Regisseurin, welche niemand anders als die Kundin im Film ist, uns ihren Glauben an die Kaffeesatzleserei bekennt und die Heiterkeit nicht ganz versteht. Im Übrigen sei der Hund wichtig. Canis a non canendo!

In der japanischen Familiengeschichte (?) Ichijiku no kao spielt dem Namen folgend ein Feigenbaum die größte Nebenrolle. Regisseurin Momoi Kaori erzählt alsdann über den Feigenbaum, daß er nie blühe: »Das ist wie mit Maria, plötzlich trägt er Früchte«. Nächste Frage aus dem Publikum: »Da mir die Frage aktuell erscheint: Kennen Sie neue Trauer-Theorien?« Zu meiner Schande muß ich bekennen, mich nicht einmal mit alten auszukennen, das aber geht allen anderen ebenso.

Zuletzt noch ein chinesisches Road Movie: 落葉歸根 (Luo Ye Gui Gen, Fallende Blätter kehren zu ihren Wurzeln zurück, etwas frei mit »Going home« übersetzt), in dem ein chinesischer Arbeiter seinen frisch verstorbenen Freund in seine Heimat überführt - die leider am anderen Ende des Reichs ist. Der mit Sonnenbrille versehene Tote wird zunächst einfach als Schnapsleiche getarnt und in den nächsten Bus gesetzt, doch das geht nicht sehr lange gut. Sein Freund vereitelt in Folge einen Busüberfall, wird ausgeraubt, therapiert einen Fernfahrer, trauert um Unbekannte, verunglückt, verspeist exotische Tiere, wird betrogen, überlebt einen Selbstmordversuch, erfährt viel Hilfe, wird festgenommen, spielt Theater, verliebt und -lobt sich, vergißt aber die Adresse, gerät in einen Erdrutsch, und bekommt zuletzt Unterstützung von einem Polizisten. Trotz Happy End ein trauriger Film, und sehenswert.


10.2.2007

Pech im Unglück! Man treibt sich im Osten auf einer Kleinstveranstaltung herum, und währenddessen läuft ausgerechnet Lieblingsschauspielerin Cate Blanchett bei der Berlinale auf, und niemand macht ein gutes Foto. Heute schieße ich zwar auch keine, schaue mir aber immerhin einen Wettbewerbsfilm an, und zwar eine Liebeskomödie vom anwesenden Rachefilm-Meister Park Chan-Wook: I'm Cyborg, But That's OK (싸이보그지만 괜찮아). Wir sehen die koreanisch-krasse Film-Adaption einer Kinderbuchgeschichte, wie sie die Ratte vor 5 Jahren hätte schreiben können: Ein Mädchen glaubt, Cyborg zu sein, und möchte ihre ausschließlich Rettich essende Großmutter, die sich für eine Maus hält, aus der Psychiatrie befreien. Dummerweise wurde unsere Heldin ebenfalls in selbige eingeliefert, und ihre eingebauten Waffensysteme, mit denen sie das Klinikpersonal erlegen möchte, funktionieren nur noch in der Phantasie: ihr Akku ist leer, und die Versuche, ihn durch Batterie-Ablecken wieder zu laden, sind nicht sehr erfolgreich. Außerdem hat sie Skrupel angesichts des zu tötenden Klinikpersonals, Verstoß gegen Cyborg-Gebot Nummer 6, Du darfst kein Mitleid haben! Sie bittet also einen überzeugend kleptomanischen Mitinsassen (»Wie konnte er den Donnerstag klauen!?«), ihr Mitleid zu stehlen; dieser verliebt sich, bringt ihr das Jodeln schwyzerischer Volkslieder über ds schöne Bärner Oberland bei (Szenenapplaus!), und und setzt ihr endlich einen selbstgebauten Reis-Transformator ein, was sie knapp vor dem Hungertod rettet. Zuletzt kann er sie noch überzeugen, keine Atombombe zu sein, wartet anstandshalber aber ein ganzes Gewitter auf ihre Zündung durch Blitzeinschlag (Blitzfänger: eine Tropf-Aufhängung mit Radioantenne) - und hat stattdessen Sex mit ihr, am Ende eines kitschigen Regenbogens. Kein goldener Bär, aber schön.


9.2.2007

Wieder ist Berlinale, und wieder ist kein Mitarbeiter des gefährlichsten Kulturmagazins Europas akkreditiert! Na, ich kenne all die Promis dort ja auch gar nicht. Noch nicht, entgegnet man mir, und ich solle doch einfach kompromittierende Bilder derselben machen, schon sei ich im Gespräch! Derlei ist natürlich indiskutabel und Bild-Niveau, erinnert mich allerdings an eine Geschichte aus McKinsey-Kreisen, wo jemand durch ein bewußt gemachtes unvorteilhaftes Foto einer sehr wichtigen Person ins Gespräch mit derselben gekommen ist. McKinsey hat selbstverständlich ebenfalls Bild-Niveau, nur eben in einer anderen Sportart, während Spiegel Online selbiges in einer anderen Liga hält. Hervorragend: Bild-Niveau, einer der wenigen Fixpunkte in unserer relativierenden Zeit, dem gegenüber man sich klar abgrenzen kann; ich fordere die flächendeckende Diffamierung passender politischer Ideen!
Um aber bei Pulp Fiction-Metaphern zu bleiben: Spiegel Online ist kein Sturmgeschütz, sondern ein Chopper. Und die F.A.Z. is dead, baby. F.A.Z. is dead.


8.2.2007

Zunächst beginnt alles harmlos, das Gespräch rankt sich um medizinische Innovationen: Loriol, fordert Rintheim, die neue Lachfalten-Creme, ein Pro-aging-Mittel, und als weitere Anti-Seriösa noch die Schmun-Zell-Therapie? Die Freud währt nicht lang, über einen passenden Versprecher kommen wir, Zieh' aus, mein Herz, und suche Freud!, auf Kirchenlieder (»Derzeit nicht mein Interessensschwerpunkt« - »Man begegnet ihnen vor allem auf Beerdigungen« - »Letztlich kommt man nicht um sie herum, ja«), Tod, Wiedergeburt und Walter Moers (»Äch bän wieder da!«) praktisch direkt zu Hitler. Diese Unausweichlichkeit gibt mir manchmal zu denken. Heute führt sie immerhin zu einer weiteren Innovation, dem potentiellen Satiremagazin GröF.A.Z.! Ich sehe bereits die Anzeige vor mir: Dahinter steckt immer... na, wer wohl! Hoffentlich bald auf Incal!


6.2.2007

Offener Kanal bzw. »Open Mic« im Frannz Club. Und als erstes stellt sich ein sehr unprätentiöser Teenie mit Gitarre auf die Bühne, 18 vielleicht, und singt über Shopping und dann Liebe und Trennung. Vom Gitarrenhals stehen lange Saitenenden ab, die Texte sind nicht übermäßig intellektuell, der Gesang ist nicht brilliant, das fehlende Schlagzeug wird mit verschiedenen Schlägen auf die Klampfe simuliert... alles holprig, aber irgendwie Punk, das Mädel hat Energie! Auf ihrer Webseite stelle ich dann enttäuscht fest, daß sie schon 26 ist und Pop-Akademie-Absolventin. Außerdem am Start: die bereits voll radiotaugliche Reisegruppe Fischer, deren Lieder in einem sehr ansprechenden Stil komponiert sind, den sie leider nicht erfunden haben, aber immerhin ziemlich ausreizen, und zuletzt Panda, deren hart berlinernde Sängerin sich trotz Erkältung die Stimme aus dem Hals singt und alle Herzen erobert, mit richtigem Punk.


4.2.2007

Rettung aus der Schweiz: mitten in einer brenzligen Situation bewahrt unser Alpenbotschafter die nur mit kleinen Damenhandtaschenpistolen bewaffnete Expedition vor großem Übel, indem er überraschend ein Maschinengewehr aus seiner Hosentasche zückt und die bösen Männer Mores lehrt. Solches Spiel freut die promovierten kleinen Jungs (und mich nicht minder), die sich unverdrossen mit dem Schlimmsten vollstopfen, was Tesco zu bieten hat, entlockt der Dame des Hauses aber nur milde Nachsicht. Wo wir schon bei Fiktivem sind: es gibt da weitaus schwerere Fälle, manche legen sogar Wiki-Einträge über deutlich gefährlichere Waffen an.

Morgens ein proteinreiches englisches Frühstück, dann geht es wieder in die Stadt, wo kleine Schulkinder in malerischen schwarzen Umhängen und mit Doktorhürten herumspazieren, Herren mit Melone das Grün vor den Füßen der Nicht-Fellows bewahren, und in den gotischen Wohnheimfensterbänken noch die halbvollen Weingläser vom letzten Abend stehen. Wir werfen einen Blick in die Christ Church Cathedral, wo im Souveniershop neben unverkäuflichem Kirchensilber Harry-Potter-Devotionalien feilgeboten werden, und bemerken, daß die Stiefel-Mode in England angekommen ist, weniger CCTV-Überwachungskameras als vermutet - sowie ein kurioses Institut. Außerdem wird mir der neue Pynchon ans Herz gelegt und noch ein bemerkenswerter SF-Klassiker vermacht, The Stars My Destination, so daß eine rundum glückliche Heimkehr des Gastes garantiert ist. Nur Banksy habe ich vermißt.


3.2.2007

Start. Die Maschine sackt für gerade richtig viele Sekunden durch und bringt das spezielle Kribbeln in den Bauch, wie es aus nie geklärten Gründen nur einige Airbus-Muster vermögen. Die Wolkendecke, kurz vor Sonnenaufgang. Wir fliegen direkt nach Westen, und so dauert er eine ganze Stunde. Langsam bekommen die blauen Wasserdampfberge rote Gipfel, das Wolkenglühen. Wir gleiten im rechten Winkel knapp über einen ganz frischen Kondensstreifen, das Flugzeug noch dicht: ein Kreidestrich im Raum, der blauweiß aufgleißt wie unser flatterndes Abgas. Eine Berührung. Die unbekannte müde Frau neben mir schläft an meiner Schulter ein, ganz vorsichtig, den Kopf immer wieder aufrichtend, wie man zufallende Augen wieder aufreißt, und dann doch einnickt. Unter uns schon England, Heckenparzellen mit raureifüberzogenen Wiesen darin. Nebel verwandelt die Senken im Hügelland in zerklüftete weiße Stauseen. Und dann sind wir da.

In Oxford werde ich vom Magister Ludi empfangen, das Kollegium wartet bereits. Der Meister führt uns sodann nicht ohne ein gewisses Vergnügen durch all die Colleges aus frisch abgestrahltem Sandstein, zumindest aber daran vorbei, deren coolstes sich dadurch auszeichnet, keine Studenten aufzunehmen. Neben den Bildungseinrichtungen samt Anekdoten zu ihren Bewohnern und überhaupt der ganzen filmkulissenhaften Stadt gibt es auch viele Kleinigkeiten, über die man sich überall in England freuen kann: die kleinen Erkerhäuschen, das klare Design auf allen Schildern, vom Pub bis zum Parkverbot, die Marmelade mit Orangenschalen, die klischösen Telefonzellen - wenn man davon absieht, daß eventuell zu wenig kontinentale Kochrezepte importiert und sämtliche attraktiven Frauen beizeiten nach Australien verbannt wurden, so ist das Land ein Genuß. Vieles ist um das gewisse Etwas unpraktischer, hat dafür aber Stil. Außerdem beachtenswert: das Musikangebot, ein wollmützenbewehrter Biochemiker entert umgehend die Plattenläden, um noch etwas Beute zu machen, bevor der verlustreiche Spieleabend naht...


31.1.2007

Mit ungebrochener Leidenschaft klagt man in Rintheim über das kostenlose Postprogramm Thunderbird, und mir fällt auf, daß man über Open Source-Produkte wie über uneinsichtige Kinder seufzt, kommerzielle Übeltäter wie z.B. Microsoft dagegen als strafmündig betrachtet. Dabei haben die Umsonst-Programme durchaus ernstzunehmende Namen, man könnte sogar einen Bond-Film damit bestücken - Titel: Thunderbird (vermutlich irgendein Superflugzeug oder Satellit), mögliche Superschurken: Blofox und Camino (beide von der Organisation M.O.Z.I.L.L.A.), Bond-Gespielin: Miss Honey Source. Aber siehe: Nichts, was mit Open Source in Berührung kommt, kann man jemals wieder ernst nehmen, es ist ein Jammer und fast so wie mit Parteien und Gewerkschaften.


30.1.2007

Ich stehe auf dem langsam laufenden Rollband im Baumarkt und zuckele gemütlich aus dem ersten Stock ins Erdgeschoss, genau auf den heute attraktiv besetzten Informationsstand zu. Im Hintergrund läuft ein California Dreaming-Remake. Plötzlich wird es von einer fröhlichen Frauenstimme unterbrochen: »Liebe Kinder! Wenn ihr gerne basteln und spielen wollt, dann gibt es einmal im Monat einen Kitzler-Workshop für euch! Fragt einfach an der Information nach!« Für einen Moment rolle ich perplex durch die Heimwerkerwelt und schaue auf die lächelnde Informationsfrau. Eine verlorene Wette oder ein Versprecher, welche Freud, von niemandem bemerkt. Andererseits - Fragen kostet nichts, und Mann ist immer so jung, wie man sich fühlt! Verdammt. Ich lächele zurück und gehe vorbei zur Kasse.


27.1.2007

Mein Galerist schleppt mich auf eine Vernissage: Max Hetzler macht Platz für das Kommando Friedrich Hölderlin. Die künstlerische Mobilmachung deutete sich ja schon auf dem Art Forum an, aber Hölderlin, ein problematischer Name! Hyperion an Bellarmin: O Diotima! Froher erhabner Glaube! O! Ach! Himmel! O finstre Brüder! Stille, mein Herz! Genug, genug! Ich war einst glücklich! Vielleicht habe ich einfach ein schwieriges Verhältnis zu Hölderlin; Kommando Peter Sloterdijk, das wäre was. In der riesigen Galerie in den Osramhöfen dann das Übliche. Und natürlich auch das übliche Publikum.

Hier noch ein triviales Abendbild


22.1.2007

Zwischenstopp in der Akademie, man möchte über Freiheit versus Islamismus debattieren. »Ein autoritäres System ist durchaus faszinierend, das wissen wir als Deutsche« - Propheten-Karikaturen und bedrohte Theaterauffürungen, das ging Klaus Staeck durchaus nahe. Mir natürlich auch, und ich hätte das Thema »wehrhafter Laizismus« schon lange erwartet, damit Henryk Broder nicht ganz allein gegen die ubiquitäre Dummheit ankämpfen muß. Leider hat man aber auch noch den Rütli-Direx und eine migrationshintergründige GEW-Frau eingeladen, so daß als Themen weniger Huntingtons gefährliche Überschüsse junger Männer in einer Gesellschaft oder die bestenfalls in den Kinderschuhen steckende islamische Aufklärung angerissen werden, sondern eher die Versäumnisse unseres Leviathans, etwa arabischsprachige Sozialpädagogen an die notorische Rütli-Schule abzustellen. Zuletzt gibt es aber doch noch ein Exempel für die standhafte Verteidigung der Meinungsfreiheit: eine Zuschauerin, seit Jahren selbst im offenen Kanal gestählt, läßt sich weder durch höfliche Bitten, lautes Ausklatschen oder Mikrofonabstellen dazu bringen, ihren unstrukturierten Monolog zu beenden. Und so endet der Abend doch noch mit etwas Unterhaltung.


19.1.2007

12.05 Uhr Ich stehe vor dem Nichts. Neben und hinter mir ist ebenfalls nichts, insbesondere kein Regionalexpress nach Berlin, den die Bahn vor einer Stunde außerplanmäßig bereitstellen wollte, als Ersatz für den IC von Greifswald. Man hat uns nach Züssow gelockt, und jetzt sitzen wir fest. Eisiger Wind fährt aus den Weiten Pommerns durch Industrieruinen und unter unsere Kleidung. Die ersten Mitreisenden verzweifeln: In der Schweiz, da würde so etwas nicht passieren, und überhaupt Mehdorn!
13.08 Uhr Unvermittelt klingelt mein Handtelefon, ein Ferngespräch aus Karlsruhe. Dort analysiert man sofort die Lage und ist optimistisch: »Der Ort schaut in Google Maps einigermaßen unspektakulär aus. Trotzdem gut, daß Berlin nun jemanden schickt, der dort mal nach den Rechten sieht«. Ich beschließe, den sicheren Bahnsteig vorerst nicht zu verlassen, und unterhalte mich weiter über die Vorzüge der Schweiz.
13.30 Uhr, schon wieder das Handtelefon. Unser Mann im Außenministerium ist dran, er habe das Krisenreaktionsteam bereits informiert, leider könne man mich nicht evakuieren. Vielleicht muß ich meine Vorbehalte gegen Bundeswehreinsätze im Inneren überdenken?
14.05 Uhr Ein Regionalexpress nach Stralsund trifft ein, entläßt seine Reisenden und schickt sich an, uns endlich zu retten. »Achtung, wir rangieren«, verkündet die Zugbegleiterin. Rangieren geht über Studieren! Minuten später fahren wir an den frisch gestrandeten Stralsund-Passagieren vorbei nach Berlin, inschallah!
14.19 Uhr Nach vier Minuten großer Fahrt halten wir in Klein Bünzow, wo der Zug auf irgendetwas zu warten scheint. Immerhin ist es warm, und ich kann mich weiter durch den türkischen Nobelpreisträger quälen, den er hoffentlich nicht für dieses Istanbul-Buch bekommen hat.
14.30 Uhr Die Lichter gehen aus, wir haben keinen Strom mehr, Lokschaden. Eine hervorragende Gelegenheit zum Innehalten, ich solle mir an Fontane ein Beispiel nehmen, kommentiert Karlsruhe per SMS.
15.30 Uhr, wir sitzen bei Kerzenlicht in ausgekühlten Waggons, draußen Regenschauer. Die Zugbegleiterin eilt von Abteil zu Abteil, es gibt neue Hoffnung auf Gleis 2! Der nächste Zug aus Stralsund soll uns mitnehmen. Eine weitere SMS trifft ein. »Auf Entsatzzüge aus dem Norden hat man dort schon vor 60 Jahren vergeblich gewartet. Müssen wie Euch aus der Luft rauspauken?«.
15.50 Uhr, die Bahn kommt! Der Flüchtlingstrek besteigt einen bereits hoffnungslos überfüllten weiteren Doppelstock-Regionalexpress, und ich finde oben etwas Platz neben zwei Umweltbiologinnen mittleren Alters. »Hast Du etwas Lesbares?« - »Hier ist noch eine alte EU-Rundschrift«.
15.56 Uhr, wir erreichen Anklam! Eine Division Bundeswehrrekruten steigt zu, um sofort den Beweis zu erbringen, daß Soldaten eventuell keine Mörder, wohl aber Nervtöter sind. In Disko-Lautstärke debattieren sie zunächst en detail darüber, ob das Vorspiel essentieller oder völlig überflüssiger Bestandteil des Geschlechtsverkehrs sei. Regungslose Minen bei den aufmerksam weghörenden Umweltbiologinnen. Dann wird es, wenn man so will, politisch: die Legionäre berichten sich über den »88«-Versand, SS-Adler-Tätowierungen, wobei die Runen gegen ein D ausgetauscht worden seien, die furchtbar orientalischen Verkehrsteilnehmer in Kreuzberg, was man lieber nicht betrete, da man gar nicht genug Munition mitnehmen könne, Ausländer, die sich straflos an Deutschen vergehen würden, na, und so fort. Wenn Du nicht zu den Rechten gehst, so müssen die Rechten eben zu Dir kommen. Und schon verschärft sich die Sicherheitslage: Der Skinhead unter den Soldaten entzündet im Nichtraucherbereich eine Zigarette, kleine Kinder nehmen scheu die Witterung auf, eine Umweltbiologin weist auf das Nichtraucherschild hin, der Glatzkopf grinst sie höhnisch an, der Rest der Gäste bleibt sprachlos, und ich sage reflexhaft und relativ rüde »Junge, kannst Du nicht lesen?«. Stille. Was ich wolle. Zigarette aus, Befehlston. Wir starren uns aggressiv in die Augen. Er hat die dreifache Muskelmasse, ich habe Geländevorteil und eine fiese Stangenwaffe von Gitzo. Zwei tiefe Züge später ist die Zigarette mur noch ein Stummel und landet im Müll. Ein Remis, immerhin. Wir lehnen uns wieder zurück.
18.25 Uhr, unser Trek erreicht den Berliner Hauptbahnhof. Ich bin gegen Bundeswehreinsätze im Inneren.


18.1.2007

Heeresversuchsanstalt Peenemünde. Ein sowjetisches Unterseeboot, graue Ruinen im NS-Lagerstil, die verfallende Sauerstofffabrik. Im Kraftwerk ein Museum, und davor die Replik des Aggregats 4. Die Rakete trägt ein naiv aufgemaltes Emblem, eine nur mit hochhackigen Schuhen und halterlosen Damenstrümpfen bekleidete Frau, die Beine freizügig übereinandergeschlagen, thronend auf einem Halbmond... dahinter die phallische V2/A4, die der Maler mit V4 beschriftet hat, bildungsfern oder größeres planend. Wir sind mehr oder weniger zufällig hier, erleben im Gegensatz zu Pynchons Helden aber keine Abenteuer im Prüfstand VII und reden dabei erst recht nicht über das Kurt-Mondaugen-Gesetz, demnach die persönliche Dichte direkt proportional zur Bandbreite in der Zeit ist, der Präsenz in der Gegenwart also, das altbekannte Δt, als abhängige Variable betrachtet: bei sehr großer Verdünnung weiß man nicht, was man gerade tut. Es gilt natürlich trotzdem, denn wir verdünnisieren uns ausgerechnet auf die Seebrücke in Zinnowitz, um die Erhabenheit der wilden Natur zu bewundern. Dann kommt der Sturm, griechisch Kyrill benannt, der Herrliche.


16.1.2007

Neujahrsrempfang im Außenministerium: Herr Steigenberger hat leckere Häppchen, seinen Haussekt und einige Livrierte mitgebracht, die uns die Türen aufhalten. Vor allem aber spielt das Deutsche Symphonie-Orchester Berlin, auch wenn man in Rintheim fragt, ob sie denn inzwischen auch Musiker angestellt hätten. Die Streicher spielen jedoch vorzüglich, es gibt Händel, Dvořák und zuletzt klischeebehaftete Rumänische Volkstänze von Béla Bartók, den neuen EU-Mitgliedern als Willkommensgruß. Und schon bald danach ist der Vertreter des kleinsten Kulturmagazins Europas betrunken genug, um der Cellistin das äußerst zweifelhafte Kompliment zu machen, sie sei die schönste Bratschistin der Stadt. Zum Glück lacht sie sich kaputt.


1.1.2007

Allen 4,5 Lesern ein Frohes Neues Jahr! Ein aus aller Welt angereister Haufen akademischen Gesindels läßt auf Rømø diverse Unwetter über sich ergehen, macht in der einzigen Regenpause eine kitschige Wanderung, und vergnügt sich halbfreiwillig mit dem Wunderkind. Dr. Möller hat ganz recht: wenn die später mal auspackt, dann landen wir alle im Bau. Aber bis dahin sind es ja noch 2,3 Jahre. Außerdem bemerkenswert: der Punk-Roman für die besseren Kreise.


12.12.2006

»Ihr tut ja so, als ob es nichts besondres wäre - wie Paris Hilton beim Geschlechtsverkehre!« TXP besichtigt das angeblich skandalöse Theaterstück an der Schaubühne, den Sommernachtstraum im Dezember, und findet ihn gar nicht übel. Für die Bowle, die allen Besuchern zu Beginn ausgeschenkt wird, sollte man aber noch etwas proben.


7.12.2006

Die Jugend, sie kehrt nicht mehr zurück. Heute abend ist eine Ausnahme: in der UdK treten die Tratschtanten Frieda und Anneliese auf, die sich in den letzten 15 Jahren nicht merklich verändert haben, und bringen uns das fast vergessene niedersächsische Landleben näher. Selbstverständlich ist auch im Stück die Verganenheit beherrschendes Thema; man erfährt u.a. vom qualvollen Tod des vermeintlich in holländischer Gefangenschaft verendeten ersten Mannes von Frieda (»In den Jauchetank gefallen. Man mach da ja auch nicht reinfassen... Aber die Schreie, die ganze Nacht! Ich mußte das Radio lauter stellen«) oder von der bösen Erkrankung ihres Sohnes (»Rumänische Genitalräude«). Wenn man nun noch über seinen Schatten springt und es unterläßt, bei jedem schlechten Witz den eigenen jugendlichen Kultbegriff sehr kritisch zu hinterfragen, dann kann man einen vergnüglichen Abend verbringen.


3.12.2006, noch immer

Wir sind zu Gast in der Galerie Meinblau und erleben ein famoses Doppelkonzert freier experimenteller Improvisationsmusik: es spielen SALEANKA und COLLAPSE. Ambiente und Einrichtung der kahlen Galerie würde ich vorsichtig als décor brut einschätzen, und auch die Musiker sind äußerst unprätentiös. Die Musik dagegen ist grandios, jazzig, elektronisch, klassisch, melodiös, rauschend und fiepsend, wild, spontan, sinnlich - und jederzeit in sich stimmig. Und richtig toll ist Lembe Lokk, die Sängerin von SALEANKA, deren Stimme eine ungeheure emotionale Wucht entfaltet, einfach so. COLLAPSE mit Sänger Lars Feistkorn ist lauter und geräuschlastiger, pendelt aber oft in Richtung Science Fiction plus Operngesang, und hat einen uns trotz drei Semestern Instrumentenkunde unbekannten, geschmiedeten Elektrokontrabass aufgefahren. Zum gemeinsamen Konzert der beiden Formationen kommt es leider nicht mehr; eventuell hat man zwischenzeitlich einen enttäuschten Blick in die freiwillige Konzertkasse geworfen? Wir sind dennoch glücklich.


3.12.2006

Zu spät, zu spät! Aus Rintheim kommt der wunderbare Titel Nonstop Konsens, der sich hervorragend für eine Persiflage der Großen Koalition eignen würde - samt Flasche Pommes Fritz! Leider war ausgerechnet Frau Zeh schneller. So ein Ärger.


2.12.2006

Ganz unvermittelt komme ich in den Genuß des besten Whiskys, den ich je getrunken habe. Dies ist ein 17jähriger Caol Ila Single Malt, gebrannt im Jahre 1983, aus der Shieldaig Collection. Und wie es bei den besten Dingen jeglicher Art so häufig ist: man kann sie nicht kaufen. Vielleicht schmeckt der 15jährige aber auch ganz gut.


1.12.2006

Endlich: Die Immanuel-Kant-Universität Königsberg ist flexibel geworden, und konnte sogar ein neues Max-Punk-Institut am Campus eröffnen! Weitere Einzelheiten finden sich hier.


29.11.2006

Herbst in der Gneisenaustraße in Kreuzberg. Nur die Schaufensterpuppen haben es noch nicht bemerkt.


27.11.2006

Willkommen zum 7. Akademiegespräch in der AdK. Es geht, wie erwähnt, um Jugendsünden, die man mit 17 begangen hat. AdK-Präsident Staeck z.B. beschloß, die DDR zu verlassen, obwohl ihm klar war, da müsse er eben durch, daß der Westen ein sterbendes System sei. »Und das denke ich heute immer noch«. György Dalos dagegen dankt (mit charmantem Akzent) der Zensur in Ungarn dafür, ihn jahrelang vor der Veröffentlichung literarisch grauenvoller Werke bewahrt zu haben. »Man sagt über solche Leute in Ungarn: Der hat eine große Karriere hinter sich«. Zum Glück ist auch noch Wladimier Kaminer da, der berichtet, zum vierjährigen Jubiläum von Kennedys Ermordung sozialistische Platten gekocht zu haben, »ziemlich katastrophal, aber recht harmlos«, und dann angesichts des Borat-Films eine Anekdote von seiner Großmutter zum Besten gibt: Diese wurde mit vielen anderen Juden im Winter 1941 aus Moskau evakuiert und nach Samarkand in Usbekistan gebracht, wo die Gesellschaft am Bahnhof von neugierigen Einheimischen empfangen wurde. Und schließlich fragte sie einer der Schaulustigen, wo denn ihre Hörner seien, Juden hätten doch Hörner, deswegen sei man hier. »Oh, es ist schon Winter«, so ihre Entgegnung, »die Hörner fallen doch im Herbst ab! Kommen Sie mal im Frühjahr wieder«. Aber immer!


26.11.2006

Ein neuer, internationaler Slogan für Karlsruhe! »If you can't make it here, you can't make it anywhere«


25.11.2006

MUSE in Berlin, einmal mehr, diesmal vor vor allem aber routinierter. Das gilt für beide Seiten: Der Sänger weiß, daß er es nicht mehr nötig hat, sich mit zersplitterter Gitarre auf dem Boden zu wälzen wie noch vor drei Jahren, da die Jugend auch so begeistert ist. Und wir wissen inzwischen, wie wir schnell vor seine Nase in die zweite Reihe gelangen können, wenn man dort auch fast zerquetscht wird und an entfesseltes Tanzen nicht zu denken ist. Am Ende ist unsere Bekleidung durchnäßt, und nur zur Hälfte von uns selbst. Zur Rettung des Abends tragen allerdings eine WG-Party mit Duschmöglichkeit bei, auf der wir dann in gespendeten leuchtorangenen McKinsey-Regatta-T-Shirts herumlaufen wie Guantanamo-Häftlinge, sowie zwei Dosen Alkopop mit Grapefruit-Geschmack, die Peter aus Japan herbeigezaubert hat.


24.11.2006

Zu meiner Linken versinkt eine attraktive Blondine in der Couch. Unerfreulicherweise steht letztere im vollbesetzten Wartezimmer meines besten Augenarztes von allen. Die Frau zückt einen Zettel und ihr Telefon. Mit dem Hauch russischer Farbe, den manche Spätaussiedler in ihrer Stimme haben, klagt sie sodann einer Online-Versand-Mitarbeiterin, daß ihre Bestellungen aufgrund ihre reisebedingten Abwesenheiten immer zurückgingen, sie aber ehrliche Kundin sei und die Ware nun gerne schnell per Vorkasse geliefert werden müsse. Ärgerlicherweise kann ich die einzelnen Posten auf ihrem versteckt gehaltenen Beate-Uhse-Bestellzettel nicht entziffern. Aber zum Glück bin ich ja beim Augenarzt.


22.11.2006

Ein Film wird beworben, mit Scarlett Johansson, lese ich im Vorübergehen, »Vom Regisseur von Match Point!«. Ich laufe nochmal zurück, aber tatsächlich: in einer Ecke steht klein Woody Allen.


18.11.2006

Mit dämonischer Stimme gibt Diamanda Galás ausgerechnet in der Passionskirche zu Kreuzberg blasphemische Lieder zum Besten bzw. Schlimmsten. Ich kann dem Konzert nur staunend folgen und versuchen, zumindest ab und zu herauszufinden, in welcher Sprache die Dame gerade singt, wenn ihre Worte nicht gerade in diabolischen Hall-Effekten untergehen, die sie am laufenden Meter einsetzt. Nur gut, daß Schwarzsingerei nicht mehr unter Strafe steht.


17.11.2006

In einem Club in Friedrichshain findet eine Foto-Session für einen Black-Metal-Kalender statt, und bemerkenswerterweise ist der mit schwarzem BH, Minirock, Patronengurt und Lederstiefeln bekleideten Blondine sehr daran gelegen, in ihrer selbstausgedachten Pose mit 50cm-Messer und Totenschädel nicht billig zu wirken. Kein Problem! Mit dem Schädel in der Hand wird kniend die Hamlet-Szene nachgestellt, Shakespeare trifft Red Sonja, und nur der Geist, der fehlt.


16.11.2006

Endlich, ein Ruf aus Oxford! Der Magister Ludi Oster hat allerdings nur Leerstühle bei einem Rollenspielabend zu bieten, aber eine zünftige Schießerei ist für Naturwissenschaftler in jedem Fall interessanter als die spannendste Poster-Session. Ich hoffe nur, daß fiktive Waffen im Fluggepäck nicht weiter auffallen.

Außerdem Kino-Kritik in Kürze: Borat ist überwiegend nicht sehenswert, obwohl der Versuch, Pamela Anderson in einem Sack zu verschleppen, doch einigen Respekt abnötigt. Falls es nicht gestellt war.


15.11.2006

Das Handtelefon klingelt. »Hallo, Sekretariat des Präsidenten der Akademie der Künste, Herr Staeck würde Sie gern zu unserern Akademiegesprächen einladen, und wir haben Ihre Adresse nicht«. Ich bin gerührt, wenige Tage später jedoch etwas ungehalten, als ich bemerke, daß auf meiner ersten Einladung ein Eintrittspreis prangt. Es geht wieder um Grass bzw. darum, was andere mit 17 gemacht haben, wenn sie nicht gerade in der Waffen-SS waren. Ich persönlich war in Algermissen (man beachte die Konsonantendopplung), jetzt ist es endlich raus!


12.11.2006

Auftakt zum 2. Ingeborg-Schnäppchenpreis! Thema: »Mir geht da gerade etwas duch den Kopf«! Alle interessierten Improvisationsschriftsteller werden gebeten, sich möglichst wenig Gedanken zu machen. Der eigentliche Wettbewerb findet im Februar statt, Beiträge dürfen maximal 9 Seiten füllen, müssen diesmal aber mindestens 3 Worte enthalten, Herr Sonneborn! Mehr zu gegebener Zeit in Ihrem Kulturmagazin.


11.11.2006

Über die Geburtstagsfeier meiner Lieblings-Improvisationsschauspielerin gibt es, und das macht sie so bemerkenswert, absolut nichts Nicht-Triviales zu berichten! Aber was soll man von Theaterleuten und akademischem Pack auch erwarten?


10.11.2006

Kinski lebt! So stand es eines Tages im Jahre des HErrn 1991 an der Tafel in unserem Klassenzimmer, gezeichnet mit grünem wasserfesten Edding, und ragte fortan wie eine unauslöschliche Mahnung dunkel unter allen Schaubildern zur Geschichte des Dritten Reiches durch, die kamen und gingen wie alle Lehrstoffe. Doch erst jetzt kommt es zur wahren Auferstehung. Man sehe selbst:

Zuerst der Klassiker - »Ich bin nicht der offizielle Kirchenjesus!«

In diesem Interview ist besonders der Schluß sehr schön

Kinski über Moderatoren und Massenpinkelbuden (ab 4:30)

Und wem all dies zu lang war, der sehe hier die Essenz (in französischer Sprache).


7.11.2006

Als moderner Modedesigner lebt man praktisch nur aus dem Koffer. Das wollen uns die Verteterinnen des Fachs aus Slowenien jedenfalls weismachen, die ihre Kreationen heute im Ministerium vorführen - in Koffern und leider ganz ohne moderne slowenische Models. Man ist etwas klamm, erklärt man dem Vertreter von Deutschlands führendem Irrelevanzmagazin ganz offen, und der Botschaft dankbar, daß sie zumindest slowenischen Serranoschinken und slowenischen Champagner spendiert (beides ausgezeichnet). Auch das Ministerium gibt sich alle Mühe und hat, um authentische Flughafenatmosphäre zu erzeugen, nicht nur eine passende Hintergrundgeräusch-CD aufgelegt, sondern extra diese Durchleuchtungsanlagen samt Bundespolizisten am Eingang aufgebaut, wie Legationssekretär Krebs betont. Slowa- pardon, Slowenien selbst soll wunderschön sein, wie alle deutschen Vertreter betonen, die zugleich sehr bedauern, nie länger als zwei Tage im Lande gewesen zu sein – ich will ihnen aber glauben, denn ein Land, das Menschen mit so schönem Akzent, Schinken und Sekt hervorbringt, das kann nicht schlecht sein.


6.11.2006

Neues von der Uni Königsberg: Neben der viel- bzw. nichts versprechenden Kooperation mit der befreundeten Akademie für Analytische Irrelevanz gibt es am IKU-Campus ab sofort das Uni-Kino UKI, wo neben dem Physiker-Thriller »Quantomas ist nicht zu fassen« nun auch Die fabelhafte Welt der Anomalie zu sehen ist!


3.11.2006

Aus diplomatischen Zirkeln erreicht uns trotz allem die Einladung zu einer vielversprechenden Party in den nordischen Botschaften. Leicht angeheitert und mit Turnschuhen und drei Japoniern im Schlepp tauchen wir auf, um sofort festzustellen, daß es sich um eine eher förmliche Veranstaltung mit gutgekleideten Gästen handelt, darunter vor allem schwedische Fotografinnen, deren eine mich zu Beginn eines Gespräches schließlich fragt, warum wir überhaupt hier seien. Nun, vor allem wollten wir natürlich verifizieren, ob tatsächlich sturzbetrunkene Frauen auf dem Fußboden herumliegen. Zu meiner nicht geringen Überraschung nimmt die Künstlerin dies für bare Münze und ist sichtbar verärgert und macht mir deutlich, so für die Zukunft, dass es sehr sehr schlecht sei, Frauen auf diese Art anzusprechen. Ich nicke freundlich-amüsiert, was ihren Eifer noch etwas anfeuert, und bitte sie um ihre Visitenkarte, die sie mir auch sofort heraussucht und mit den Worten übergibt, ich würde sie nicht verdienen. Das allerdings weiß ich selbst. Hihi.


2.11.2006

»Ich habe gehört, daß Sie sich irgendwie selbstständig gemacht haben?« — »Ja, das trifft es ziemlich genau«. Es gibt Situationen, in denen ist man, für einen kurzen Augenblick, ganz im Einklang mit sich und der Welt. Und die Rebecca-Horn-Ausstellung im Gropius-Bau kann das ebenfalls von sich behaupten.


25.10.2006

Unverhofft treffe ich auf Starfotografen André Rival, der wie erwartet unseriöse Bilder mit Prominenten macht, und schaffe es, ihn zu einem unseriösen Bild mit dem Fälscher zu überreden. Der Auftritt der ironischen Performance-Künstlerin Charlotte Engelkes aus Schweden wäre da gar nicht mehr nötig gewesen, das gute Essen, der verschmitzte Außenminister, Herr Polts These, Bayern sei Nachfolger von Byzanz, oder die Chaos-Schaukel im Festsaal, mit der acht Menschen gleichzeitig kollidieren können — manchmal hat man einfach Schwein. Oder sogar Spanferkel.


18.10.2006

Erst jetzt sehe ich Adams æbler und stoße auf das Filmzitat des Jahres. Kommentar des schnoddrigen Arztes über seinen mit Kopfschuß darniederliegenden Pastor: »In Fachkreisen nennen wir sowas einen Halben Kennedy!« Das Malheur entpuppt sich allerdings als neuartige Krebstherapie.


17.10.2006

Eilmeldung von der Bundesnegierung: Ab sofort gibt es in jeder Stadt ein Verstandesamt! Es können ausschließlich Vernunftehen geschlossen werden! Steuervorteile winken!


16.10.2006

Norwegen ist mehr als Lachs, teilt die Botschaft des Landes mit. Aus Norwegen stammt nämlich auch Ibsen, der informierten Incal-Lesern bereits durch Griegs Peer Gynt-Suiten ein Begriff ist. Ibsen wäre jetzt 100 Jahre alt, und es wäre es doch gelacht, wenn man das nicht außenpolitisch nutzen könnte. Gedacht, getan! Im Auswärtigen Amt wird eine kleine Ausstellung zum Thema eröffnet, dazu spricht der norwegische Botschafter einige Worte, woraufhin eine szenische Lesung geplant ist, anschließend soll es Häppchen geben, Rentier – und natürlich Lachs. »Szenische Lesung« ist allerdings ein weiter Begriff.
Ein Mann mit blonder Perrücke tritt ans Pult und liest einen Dialog zwischen Ibsen und der norwegischen Kulturkommission vor. Ibsen ist nun schwarzer Muselmane und damit perfekt für offizielle Repräsentationszwecke, was man ihm klarmachen möchte. Er sinniert aber lieber über Norwegischsein an sich, und schlägt vor, eine Zwiebel in die Flagge zu setzen, er selbst sei auch eine.Alles ganz nett, aber ob er denn nun mitmache? Nein, Kultur werde hier nur benutzt! - und so fort. Dabei färbt sich der sprechende Schauspieler das Gesicht braun und verläßt dann plötzlich das Pult. Seine Rede geht aber weiter, aha, Playback! Ibsen schüttet nun seine Tasche aus, aus der viele große Zwiebeln auf den teuren Boden fallen und nacheinander zertrümmert und vom zunehmend verzweifelten Ibsen nach einem Kern durchsucht werden. Dann zieht der Zwiebelmann sich mehrere Unterwäscheschichten aus und verläßt, die letzte Zwiebel zerbröselnd, nackt das Gebäude. Der Botschafter und alle Verantwortlichen sind zur Salzsäule erstarrt, auf dem Fußboden eine großartige Schweinerei. Wenn jetzt der Hausherr vorbeiliefe, ärgerlich-fragend erst den Boden, dann den Botschafter ansähe, und mit angedeutetem Kopfschütteln weiterginge? Doch das Publikum ist von der Aufführung angetan und stürzt sich auf die nun gereichten Häppchen, die Künstler beseitigen artig das Schlachtfeld, und der Botschafter hat Gelegenheit, in kleinerem Kreis ausgiebig über den Lachsmarkt zu sprechen. Etwas Kultur kann doch ganz erfrischend sein.


3.10.2006

Das Leben wird viel befriedigender, wenn man den Alltag ab und zu wie einen Staatsakt zelebriert. Wir fordern ja schon seit Jahren, wenigstens einmal wöchentlich beim abendlichen Betreten der eigenen Wohnung mit brausendem Applaus und Da capo!-Rufen empfangen zu werden. Heute stelle ich fest, daß man unsere Rufe gehört hat: Am Alexanderplatz wird die Einfahrt eines Zuges der Linie 8 neuerdings von einer längeren festlichen Fanfare mit leichter Marschmusik-Konnotation angekündigt. Zuerst denke ich, daß sich Jugendliche mit Getthoblaster einen Scherz erlauben - aber es ist der Senat. Berlin, es geht doch!


1.10.2006

In Rintheim stolpert man über einen Anagramm-Generator. Das ist natürlich genau das richtige für abgehalfterte Akademiker wie uns, und der Abend ist gerettet. Aus Grossbritannien wird ein »Irrsinnsangebot«, »Ratzinger« »irrte ganz«, und selbst mein Name (»Wehrgarde Dublin« / »Hund, widerlegbar!«) enthält eine Botschaft: »Bleib erdnah, Dr. Lug!«. Zuletzt noch ein politisch korrekter Abschluß ohne Gazelle: »Ein Hering mit Gehirn zagt im Regen nie«


30.9.2006

»Na, was macht die Kunst?« - eine gute Frage, man sollte da gelegentlich nach dem rechten sehen. Ich begleite also den Galeristen auf die jährliche Groß-Vernissage im Art Forum Berlin, und sehe mich um. Mein subjektiver Eindruck: Europa nimmt die islamistische Herausforderung an, ohne dabei seine Werte zu verlieren: Mädchen malen gern mit Buntstiften, Jungens spielen im Matsch mit Autos. Außerdem bemerkenswert: ein Portrait von Nina Hagen, das ich selbst gern gemacht hätte, Motorradhelme für siamesische Zwillinge und aus Karlsruhe bekannte Kurzgeschichten. Das Beste aber entdeckt mit geschultem Blick der Galerist: Einen Plüschkrokodil-Sessel für 16.000 Euro. Kunst, das bestätigt sich einmal mehr, kommt von Gönnen.


28.9.2006

Seit heute bin ich praktisch Segler; theoretisch sieht das natürlich noch anders aus. Als Bonbon darf ich die Prüfung mit einem südfranzösisch aussehenden Halle Berry-Double machen, die noch dazu Babette heißt, aber alles französische als Schein abweist. Das sei auch zu erwarten gewesen, werde ich sofort und von mehreren Seiten belehrt, nur Frauen aus dem Osten hießen Babette! So gewinne ich ein neues Vorurteil, Reichtum also, den mir später niemand mehr nehmen kann.


26.9.2006

Wenn man den Dönermann an der Ecke beiläufig fragen kann, was er denn vom Artikel in der Herald Tribune hält, der neulich über ihn und seine Bude in Japan zu lesen war, dann bekommt Fast Food eine ungeahnt kosmopolitische Dimension. Die Welt ist ein Dorf, daß muß man in Berlin noch lernen, wo das Dorf schon immer Welt war und die Welt darum manchmal noch weiter weg zu sein scheint. »Welche Soße, mein Freund?«

Außerdem erwähnenswert: die Fälschung der Mondlandungen ist endlich zweifelsfrei bewiesen. Ich jedenfalls bin überzeugt.


25.9.2006

Unlängst forderte der verrückte Präsident des Staates Persien, dessen Name leider vollkommen unaussprechlich ist (mæɦˈmuːd æɦmædiːneˈʒɔːd), daß der Staat Israel, so er ein aus dem Holocaust gewonnenes Existenzrecht habe, dieses gegenüber den Schuldigen geltend zu machen hätte, und doch Deutschland dafür eine seiner Provinzen abtreten solle.

Reden wir jetzt mal Tacheles: Mecklenburg-Vorpommern ist praktisch menschenleer und ist sogar etwas größer als der heutige Staat Israel. Die Gründung des Bundeslandes Mecklenburg-Israel hat sofort folgende Konsequenzen: Eine Win-Win-Win-Win-Situation, finde ich. Wann geht es los?


21.9.2006

Ich bin unverhofft auf der Popkomm-Musikmesse und damit beauftragt, sieben finnische Rock- und Jazz-Konzerte festzuhalten. Incal-Kritik in Kürze: The Winyls liefern in der Kulturbrauerei einen ernergiegeladenen Auftritt, die Musik klingt nach Ferdinand und Muse und den Dead 60s, und als Konzert ist es das beste seit einem Jahr. (Hier noch ein Bandfoto) Leider sind die tags darauf aus dem Netz geladenen MP3-Stücke eine große Enttäuschung. Live ebenfalls nicht zu verachten sind die Glamrocker von Naked, die auch im Alltag in Helsinki so herumlaufen.
Zum Jazz: Das Iiro Rantala Trio fällt durch sein überragendes Schlagzeug auf, das aus einem unauffälligen Menschen mit Mikrofon besteht. Der kann zwar immer nur eine Stimme gleichzeitig spielen, dafür aber so vielseitig, daß man ihn Beatbox nennt und Solos trommeln und Showeinlagen spielen läßt. Fazit des Bassisten: »I sucked, but the beatbox was great« (Ja, und er sieht auch aus wie Marc Barthold). Danach wird es auf der Bühne voll: Das 17köpfige UMO Jazz-Orchester ist das erste seiner Art, was mir unter die Ohren kommt, und könnte bestimmt hervorragend Hintergrundmusik für Bond-Filme der 60er spielen. Stattdessen im Repertoire: der unserer Zeit angemessenere Tango catastrophique!. Klingt fast, als sollte man mal nach Helsinki fahren.


19.9.2006

Auf meine alten Tage lerne ich tatsächlich noch das Segeln, jedenfalls ein bisschen. Peter und Izumi sind mit von der Partie. Wir üben also fleißig verschiedene Knoten für das Seemannsgarn. Die Knoten heißen Steke, einer aber Affenfaust, die Seile heißen Enden, die Enden der Enden Tampen, und kurze Enden ebenfalls Tampen, manche Taue aber auch Schote, Strecker, Leinen, Trossen oder Springe. Verbal hochgerüstet ziehen wir mit unseren Jollen auf die nicht sehr chlorreiche Havel und versuchen, trotz täglicher 5-Uhr-Flaute ein wenig im Kreis zu fahren. Dabei entdecke ich ein potentiell korrodiertes Restaurantschiff namens Alte Liebe. Na, wenn das kein Fall für die Schmidteinander-Sprichwortforschung ist!

Abends fällt uns auf, daß Affenfaust auch ein Wein heißen könnte, z.B. Wolfratshäuser Affenfaust. Kräftig müßte er sein, aber nicht so fulminant wie etwa der Bibeldörfer Gotteszorn.


12.9.2006

Im Hamburger Bahnhof stelle ich fest, daß die Welt manchmal sogar konsequent ist: Andy Warhols Mao befindet sich in der Sammlung Marx. Bei der Beschäftigung mit Themen des Berufslebens wird es aber gleich wieder paradox: der sogenannte Wuppertaler Kreis ist ein Quadrat! Da Wuppertal spätestens seit Loriot nicht mehr ernst zu nehmen ist, vermute ich Absicht und beschließe, fortan alle n-eckigen Flächen Wuppertaler Kreise zu nennen.


29.8.2006

Der Finne ist uns ähnlich. Das war mir früher nicht bewußt, ich dachte an lustige Nachnamen, Handtelefone und manchmal sehr betrunkene Frauen - und den Ruderer, der früher immer Peter Michael Kolbe bei Olympiaden geschlagen hat. Heute aber werde ich von Finnen aufgeklärt: Wir haben nicht nur beide gute Ruderer, Rennfahrer und Demoprogrammierer. Wir haben die gleiche Mentalität. Mit Deutschen kann man Geschäfte machen, mit Franzosen dagegen ist alles problematisch. Welcher Mitarbeiter von Höchst oder Airbus wollte das bestreiten? Ein handfester Beweis für die Mentalitätstheorie sieht allerdings anders aus. Und zwar so. Wie unschwer zu erkennen ist, handelt es sich hierbei um den finnischen Helge Schneider, der es sogar geschafft hat, daß eines seiner Lieder wegen Parlamentsverunglimpfung(!) jahrelang nicht gespielt werden durfte. Heute tritt er zum 100. Parlamentsgeburtstag auf, und zwar, Mario sei Dank: in Berlin. So erleben wir neben lustigen, frei ins Deutsche übersetzten Stückchen sogar eine italienische Arie mit fantastischer Kiekseinlage. Eine Zugabe bekommt das Volk allerdings erst, nachdem dem Künstler ein Glas Alkohol bereitgestellt wird - soviel nordische Eigenheit muß sein.


27.8.2006

Ein übler Fall von Nepotismus: man engagiert den neuerdings mit einer kommerziellen Webseite versehenen Hoffotografen zur Dokumentation des Tags der offenen Tür im Auswärtigen Amt - Einladung zum Staatsbesuch, das klingt nicht unbedingt schlecht. Neben führenden Diplomaten macht auch der Minister seine Runde und hält kurz vor einer Vitrine mit Staatsgeschenken inne: »Da, genau, das war doch in Jordanien, und hier, richtig, da waren wir in Ägypten...« - allein für solche Momente lohnt sich doch das undankbare Ministeramt. Für uns dagegen lohnt sich dar Tag dank Anwesenheit einer durchaus bemerkenswerten Oberstabsärztin, die zur medizinischen Betreuung der Besucher abkommandiert wurde. Außerdem bemerkenswert: die Besucher, unser bestimmt Karl-May entsprungener Botschafter in Libyen, die Tresorfenster im Krisenreaktionszentrum, ein Kishon-hafter Simultandolmetscher und last not least das erhabene Gefühl, zu einsetzender Marschmusik des Bundespolizei-Orchesters den Protokollhof zu betreten: So gefällt mir die Diplomatie.


23.8.2006

Mit bester badischer Begleitung geht es zum Akademiegespräch in die AdK. Das Thema des Abends: »Der öffentliche Künstler: Heine, Handke und die Folgen«. Schnell wird klar, daß es nicht um Heine geht und nur ein wenig um den zur serbischen Diktatorenbeerdigung erschienenen Handke (»Handke ist nicht einäugig!«), der dafür trotzdem kontrovers besprochen wird. Nein, es geht um einen anderen, »ich will den Namen jetzt nicht nennen«, der neulich, also, »wir wissen ja, um wen es geht«, na, »dieser Schriftsteller, der in seinen Memoiren seine Mitgliedschaft«, nein, »wir sollten hier den Namen nicht nennen« - es geht offenbar um den Unaussprechlichen Günter GraSS. Und so wird es ein munterer Abend. Oskar Negt doch wieder gegen Handke, der den Heine-Preis abgelehnt hat, Matthias Langhoff pro Handke, »Ich würde auch keinen Preis aus Düsseldorf annehmen«, das Publikumm bei mißliebigen Aussagen vernehmlich murrend und dazwischenrufend, Juli Zeh sachlich zusammenfassend, über allem aber der lustige Akademiepräsident Klaus Staeck: »Die Akademie der Künste berät die Bundesrepublik Deutschland in Fragen der Kunst und Kultur. (Pause) Wer sich dem gewachsen fühlt, der hebe bitte den Finger« / »Ich wurde zu einer Talkshow zusammen mit Dolly Buster eingeladen - dann dachte ich: die wird da einfach nur sitzen« / »Dieses Luther-Denkmal, hier stehe ich... ich gehe dann immer weiter«. Von Staeck gibt es übrigens ein sehr schönes Bilderbuch namens Frohe Zukunft!.
Zuletzt wird bekanntggeben, daß dieser Abend aufgezeichnet wurde und gesendet wird (neugierige Stille) am 27.9. um 0.05 im Deutschlandradio (sarkastisches Lachen).


10.8.2006

Armut lohnt sich nicht! Dieses Zitat aus unserer unfertigen Farce Bleudian bringt uns endlich auf umsatzrelevante Gedanken. Wir erwägen die Gründung einer Bühne: Das Affentheater Berlin könnte ein voller Erfolg werden. Eine Alternative: das aus Großunternehmen bekannte Business-Kabarett, wo der erste Witz bereits die Eintrittspreise wären, und wahrscheinlich sogar ein schlechter. Wenn auch das nicht klappt, müssen wir Rundfunkanstalten machen und das Funkhaus im Spessart reanimieren, von wo ja schon längst der Internationale Weinschoppen gesendet werden sollte.


28.7.2006

Link und Gegen-Link. Man kann Martin noch immer nichts schicken, ohne durch Gegenlinks blamiert zu werden.


22.7.2006

Nach vielen Jahren lärmender Dienste ersetze ich heute meinen Heimrechner durch einen neuen. Dabei muß man natürlich einen ordentlichen Prozessor einsetzen. Ich stelle frustriert fest, daß mein Etat für einen außerordentlichen Prozessor nicht reicht, und C4-Prozessoren noch gar nicht berufen werden können. Immerhin startet das Gerät im Gegensatz zum Vorgänger s.t..


16.7.2006

Vom Frankfurter Heuschreckenkrawattenträger werde ich auf ein Open-Air-Festival in der ostdeutschen Braunkohlewüste mitgenommen. Dort spielen vor idyllischer Kohlebagger-Kulisse ganz viele Bands auf ganz vielen Bühnen, die Besucher schlafen in ganz vielen Zelten, und alte Außenseiter wie wir, die beim Worte Überzelt an Nietzsche denken, sind klar in der Minderheit. Die Konzerte sind aber gar nicht übel, es ist nur manchmal eine gewisse Kunst, in der ersten Reihe all den Bühnentauchern auszuweichen, die von hinten kommen. Favouriten: The Streets, We are Scientists, evtl. der autistische Aphex Twin, die Hush Puppies, und zum betrunkeneren Tanzen 2 many DJs und Digitalism. Die beste Show lieferten allerdings die von allen mit musealem Interesse beäugten Pet Shop Boys.

Auf dem Heimweg besuchen wir noch in Halle den gerade stattfindenden SA-Tag, bekommen ebendort arabische Namen, erfreuen uns an der sanierten Stadt, und trinken russischen Kaffee im zauberhaften Café Potemkin.


6.7.2006

Ich befinde mich scheinbar auf dem Gipfel meiner Karriere: Man läd mich offiziell zum Kongress für Banalität ein, der im Institut für Auslandsbeziehungen stattfindet. Mitdiskutieren dürfen leider nur Laien (ein ZDF-Moderator, ein Hirnforscher, ein Jurist, ein Pfarrer, ein Musiker), die sich in Begriffsklärungen verstricken und so orientierungslos durch das Spannungsfeld von Banalität, Trivialität und Profanität stolpern, daß man oft dazwischengehen möchte. Neu für mich: Banalität war ein Adelsrecht und nach der französischen Revolution verboten! Dann wird festgestellt, daß banal heute das Erwartbare ist. Ich hätte das gerade heute erwarten müssen. Unser wissenschaftlicher Vorschlag, Banalität in Bohlen zu messen, kommt leider gar nicht auf die Agenda. Dafür fragt der Moderator plötzlich den Pfarrer, ob die katholische Kirche banal sei. Der muß sich erstmal fangen, bevor er widerwillig zustimmt. Zu guter Letzt gelingt auch dem Musiker eine Volte: In den 30ern sei Judendiskriminierung banal gewesen, et voilà, darf ich vorstellen: die Banalität des Bösen! Keine deutsche Diskussion ohne Holocaust, das ist die Lehre des 2. Weltkriegs - trivial, und doch immer wieder verflüffend!


3.7.2006

Klar und deutlich ruft eine bekannte Stimme in den gefüllten U-Bahn-Wagen: »Wollt Ihr den totalen Krieg!« Die Passagiere zucken zusammen, und ein Jugendlicher greift hastig und etwas verlegen nach seinem Mobiltelefon, dem er diesen unkonventionellen Klingelton verpaßt hat, und stellt es aus. Ich schaue auf die Uhr: »Ab 5 Uhr 45 wird zurückgerufen!«


1.7.2006

Ein sportlicher Vorschlag aus Rintheim: Wie wäre es, wenn Deutschland im nächsten Jahr die Höflichkeits-WM veranstaltete? Die Regeln sind denkbar einfach. Man muß seinem Gegner stets unter Komplimenten den Vortritt aufs Treppchen lassen, und wer am Ende nicht gewonnen hat, der hat gewonnen! Dabeisein wäre wirklich alles.


29.6.2006

Nun ist es durch: zur Fußball-WM dürfen Verkehrspolizisten mit Fahne zum Dienst erscheinen. Falls ich es noch nicht erwähnte: auch Incal berichtet über das Sportereignis. Das einzig lesenswerte davon findet sich hier. Auch das ist allerdings überflüssig, denn der ewige Marcel RR hat bereits in einem F.A.Z.-Interview alles zum Thema Fußball gesagt: »1990? Ach was, da gab es auch eine WM?«.


28.6.2006

Das Schaumgummipuppenensemble Helmi zeigt Léon den Profi im Ballhaus Ost, und Besucher mit wahlweise Tic-Tacs oder Stoppelbart und Pflanze bekommen Ermäßigung. Das Publikum ist studentisch, ortstypisch gekleidet und trinkt Bionade. Man ist gespannt, was Helmi aus Luc Bessons Romanvorlage machen wird.
Gleich zu Beginn eine Überraschung: Mathilda ist eine Kuh! Und noch dazu altklug. Als ihr geliebter kleiner Bruder Brian (»Ich will mehr Aufmerksamkeit!«) mal wieder über seine verkrüppelten Beine jammert, stellt sie fest: »Behindert ist man nicht, behindert wird man!«. Mathildas Mutter hat indes einen neuen Ein-Euro-Job als sexuelle Dienstleisterin im nagelneuen Hauptquartier deutscher Drogen-Nazis hier in New York, welches alsbald von Léon gesäubert wird. »Mein General, ich sterbe« - »Aber das wäre doch nicht nötig gewesen«. Léon tut, was zu tun ist, läßt sich (als strenger Veganer) von Mathilda Soja-Milch kaufen, die er in einem Rutsch trinkt, der so lange dauert, wie Mathilda über ihre zwischenzeitlich vom Polizeischurken Gary Oldman unnachahmlich beseitigte Familie jammert, und bringt ihr dafür das Schießen bei. Erstes Opfer ist ein drogendealender Hase - »Kß, kß, Hasch? Hasch?«. Der Rest ist bekannt.

Gegen Ende des Stücks soll Léons Wohnung gestürmt werden. Die zahllosen Polizisten haben der Einfachheit halber bemalte Luftballons als Köpfe, und das Publikum darf bei ihrer Beseitigung helfen. Inmitten dieses Massakers versucht eine Beamtin mit säuselnder Stimme ihr Glück: »Guten Taaag, ich bin die Polizeiiipsychologin!« BÄM! »Äh, hallo, ich bin hier nur Praktikant...« BÄM! Polizeibösewicht Oldman läßt zunächst wieder seine preußische Schutzmann-Handpuppe auftreten, die er »eigentlich für die Verkehrserziehung« verwendet, wirft dann eine Packung Tic-Tacs ein und stellt mit sanfter Stimme fest, nun müßten wohl andere Kaliber her, woraufhin ein Geschützturm aufgefahren wird. Léon, der als Blinder getarnt entkommen möchte, wird entdeckt und mit einer faustgroßen Kugel aus dem Geschütz erlegt - natürlich in Bullet Time. Mathilda dagegen beschließt zuletzt, drittklassige Schauspielerin zu werden. Ein überzeugender Entschluß, und alles in allem eine sehr gelungene Vorstellung!

Auf dem Heimweg werde ich wieder Opfer meiner speziellen Leseschwäche: »Bitte achten Sie auf herrenlose Gebäckstücke«.


20.6.2006

Ein neues Lebensjahr beginnt mit einer Überdosis Wodka im Park. Peter mixt aus selbigem mit russischer Moosbeerenmarmelade und Orangensaft tödliche Cocktails, Ying schaut zu, ich muß austrinken. Ein sehr gradliniger Abend, was man vom Heimweg allerdings nicht mehr sagen kann.


19.6.2006

So, jetzt ist der Lappen weg! Die bisherige Strafgesetzgebung gegen von Gotteslästerung in Deutschland sei stumpf und wirkungslos, trompetet Stoiber in der Bild-Zeitung, da sie nur greife, wenn die Frevelei unseren öffentlichen Frieden gefährdet. Es dürfe nicht alles mit Füßen getreten werden, was anderen heilig sei, man sehe an den Mohammed-Karikaturen, wohin das führe. Also: bis zu drei Jahre Haft für Gotteslästerer, auch wenn sie nicht für Tumult sorgen. Hiermit erkläre ich meine Unterstützung für Stoiber, erkläre zugleich meinen Glauben an Vernunft und Kantsche Aufklärung zu einer Religion, die mir in allem überlegen scheint, wenn ich sie mit dem Glauben an eine unsichtbar omnipräsente, Jungfrauen ohne körperliche Spuren befruchtende, dreigeteilte, Büsche entflammende, Sintflut-Genozid-startende, erst das Licht, Tage später die Sonne schöpfende und uns alle mit einer Erbsünde belegende Gottheit vergleicht, der sich Christentum nennt und in dessen Namen die eine oder andere Million Menschen getötet wurde (dies ist keine Polemik, sondern entspricht leider den Tatsachen). In diesem Sinne beleidigt Stoiber nun meinen Glauben an die Vernunft zutiefst - mit der Forderung, Menschen zu bestrafen, die die Bedrohung ihrer Grundrechte anprangern und damit z.B. den Zorn zurückgebliebener Nahost-Diktaturen erregen. Ich wünsche mir also in Konsequenz seiner eigenen Forderung: Haftstrafe für Stoiber!


17.6.2006

Heute, am alten Tag der Deutschen Einheit, fordert der CSU-Bundestagsabgeordnete Johannes Singhammer, daß angesichts der FIFA™-Fußball-WM™-Deutschland 2006™ Staatsbeflaggung angeordnet werden müsse. Flensburg, bitte einen Punkt in seinen Politikerführerschein eintragen - der Staat muß in Sport- und Glaubensfragen neutral bleiben. Bei der Gelegenheit auch gleich drei Punkte für Stoiber, der jüngst die Wiedereinführung von Haftstrafen für Gotteslästerung forderte. Noch so ein Ding, und der Lappen ist weg!


14.6.2006

Ich habe endlich einen neuen Slogan für Berlin: Nicht meckern, motzen!


13.6.2006

Mit der Vertreterin der Hong-Kong-Presse und einer Thermoskanne voll Caipirinha wandern wir über die Fanmeile - das ist die Straße des 17. Juni, die zur Fußball-WM mit einer Reihe pervers großer Fernsehwände bestückt ist. Fußball interessiert uns natürlich nicht, eher die bunten brasilianischen und kroatischen Fans. Mehr als die Hälfte der Brasilianerinnen kommt übrigens aus Brandenburg - was immerhin auch mit Bra anfängt. Na, solange die fehlende Kleiderordnung eingehalten wird, ist uns alles recht. Der Hoffotograf findet viele niedere Motive und stellt fest, daß man gerade bei diesen auf den richtigen Ausschnitt achten muß. Fußball hat also auch sein Gutes.


11.6.2006

Ich wollte an dieser Stelle eine Kritik schreiben, das Stück ist alt, Richard III., mit circa einem Dutzend Mordopfer aber vielversprechend. Wir besuchen also das wohlsubventionierte Klavier, Verzeihung, badische Staatstheater, können uns aber bald darauf nur noch daran erinnern, daß das Bühnenbild gelungen und die Brezeln im Foyer etwas weich und ohne Butter waren. Richard den Dritten treffen wir dann in einer Weinstube wieder, wo allerdings keine Toten mehr zu beklagen sind.

Zum Abschied hier noch ein Panoramabild aus dem Zentrum Karlsruhes.


10.6.2006

Wir erreichten Baden-Baden in der gemeinsten Stimmung - hungrig wie die Wölfe und wütend auf die ganze Welt. Doch nichts konnte mich für die Stadt gewinnen - nicht die englischen Wiesen, die Straßen voll apathischer Rentner, nicht das träge Festspielhaus und auch nicht die teuren Museen, die Milliardäre sich in diesem groß gewordenen Dorf zum Denkmal gebaut hatten. Nur einen hastig getrunkenen Kaffee lang hielt ich es aus, dann stürzte ich in den nächsten Zug und verließ diesen Ort, an dem Wildes, Plötzliches, Wütendes und Hungriges undenkbar schien. Der Mann aus Rintheim dagegen beschloß, oft wiederzukehren und sich im ersten Hotel am Platz mit der Etikette vertraut zu machen.

Abends noch eine sehr lange, polemische und weinreiche, aber nichts neues aufdeckende Diskussion über Freien Willen, die künftigen Auswirkungen der Hirnforschung auf unser Menschenbild und Kunstunverständnis, und die Joghurt-Presse (Joghurt im Spiegel, J. der Frau, J. Online, J. der Wissenschaft usw.). Noch ein Rat für den Heimweg - don't think and drive.
»Ober? Primzahlen, bitte!«


9.6.2006

Ich besuche die Hauptstadt Badens. Schon im Zug ist Baden ein Thema, genaugenommen Baden-Baden. Es sei so ähnlich wie Delmenhorst, findet die ältere Dame vor mir. Ihre ebenso ältere Gesprächspartnerin ist darüber entrüstet. Mit halbstündiger Verspätung (Weichenstörung, Stich!) erreiche ich dann Karlsruhe, wo die Sonne lacht und wir sofort im abgedunkelten ZKM verschwinden, denn dortselbst gibt es eine bemerkenswerte Ausstellung zum Thema Kunstlicht. In einer Ecke steht zum Beispiel eine Skulptur aus verschiedenen Neonschriftzügen, in die hinten ein Bildschirm eingebaut ist, vor dem Schirm eine Bank. Ein in harmonischen Farben gehaltener Film zeigt buddhistische Mönche, die summend im Kreis herumsitzen, in der Mitte ein Paar beim Liebesakt. Neben der Skulptur steht ein Wärter, der alle Besucher intensiv beobachtet, die vor dem Bildschirm stehenbleiben. In einem anderen Raum gibt es eine gläserne Wasserschale auf einer beleuchteten Lautsprechersäule, die tief hin und her brummt und die so in der Schale entstehenden stehenden Wellen an die Decke wirft. Wir setzen uns hin und schauen an die Decke, wenig später setzt sich ein Wärter dazu und paßt auf uns auf. Und auch sonst bleiben die Kunstwerke unterhaltsam und die Wärter aufdringlich. Nur in den Raum mit der größten Attraktion trauen sich die Wächter nicht - sie fürchten Tim Vader. Und im Museumsshop gibt es noch immer die schöne Verkäuferin, die als einzige nicht aufdringlich ist.

Mit der griechischen Mutter der Kompagnie geht es hernach zur Gockelburg mit den unverändert weltbesten halben Hähnchen. Später versetzt uns die Dame allerdings, so daß wir alle Hoffnungen auf ein Treffen mit der Geli legen, die uns dann ebenfalls absagt. Angeblich ist sie in der Nähe mit ihrer Freundin unterwegs, einen heißen Feger, den Tim bereits in einer Besenwirtschaft kennengelernt hat. Aber auch in der Nähe finden wir sie nicht, so daß der Abend untröstlich zwischen Fußballfans endet.


4.6.2006

Berlin hätte gern den Karneval aus Rio, tanzende, barbusige und mit ausladendem Federschmuck verzierte Samba-Königinnen, ausgelassene Massen, ein buntes Spektakel! Der Wunsch paßt gut zur verarmten Stadt und ihren Partybürgermeister. Und darum gibt es seit einer Weile den Kreuzberger Karneval der Kulturen mit großen Straßenumzug. Letzterer besteht aus einem Kern südamerikanisch angehauchter Samba-Truppen, zu dem sich osteuropäische Trachtenvereine, fernöstliche Kampfsportschulen und verschiedene ortsansässige Minderheitenvereinigungen gesellen, ab und zu auch ein versprengter Techno-Wagen der Love Parade. Gesäumt wird der Umzug von etwa einer Million Menschen, deren eine Hälfte Caipirinha trinkt, den die andere Hälfte verkauft. Das alles kann sehr schön sein.
Diesmal allerdings müssen die Samba-Frauen hart im Nehmen sein, denn es ist naß, windig und 10 Grad kalt. Wir sind natürlich trotzdem am Start und machen Fotos der Touristenattraktionen, ziehen uns dann aber in wetterfeste Beobachtungspositionen zurück, wo gegrillt und experimenteller Wodka getrunken wird, in dem Peter diesmal nicht ganz so viele Lakritzbonbons aufgelöst hat. Fleisch, Männer wollen immer nur Fleisch essen, rügt die Frau aus Hong Kong. Da hat sie recht. Und als man uns am Abend weismachen will, daß heiße Pferdebockwurst ein altes Hausmittel gegen drohende Erkältung sei, da überwinden wir sogar die Beißhemmung vor dem heiligen Tier der Germanen und schlagen zu. Pech für Fury!


26.5.2006

Stationem ferroviae habemus! In Berlin eröffnet mal nun tatsächlich einen zentralen Hauptbahnhof. Zwar gibt es ringsum weit und breit keine bewohnten und nur wenige unbewohnte Gebäude, bislang auch keine Anbindung an das U-Bahn-Netz, dafür aber heute ein großes Feuerwerk und Lichtspektakel, an dem auch Riefenstahl ihre Freude gehabt hätte. Der Berliner ist zufrieden, wenn man von der Messerstecher-Jugend aus Neukölln mal absieht. Die Provinz hat allerdings mehr erwartet: Das solle nun die Speer-Spitze der deutschen Architektur sein? Da sei man in Berlin aber schon mal weiter gewesen, meint man in Rintheim. Doch etwas Anerkennung kann man sich auch hier nicht verkneifen: »Wehrhaft sieht er ja immerhin aus, der Bahnhof«.


18.-23.5.2006

Sechs Veteranen beschließen, ein paar Hügel in der Schweiz zu erobern. Dabei stellen wir fest, daß der Eidgenosse den Westwall gegen Frankreich offenbar eigenmächtig bis nach Genf verlängert hat. Falls der Feind die Hürde dennoch nehmen sollte, so hat man sich einige bürokratische Schikanen für ihn ausgedacht: Am strategisch wichtigen Gasthaus direkt hinter dem Wall herrscht strenges Panzerparkverbot. Das gilt zum Glück nicht für unsere Infantilerie-Einheit. Leki-Kommandant Möller besitzt außerdem eine moralstärkende Sonnenbrille, die ihn im Hintergrund den Ritt der Walküren hören läßt - allerdings ist Marc Barthold Kilgore als Chemiker die bessere Nase für den Geruch von Napalm am Morgen zuzutrauen, »Sehr richtig, Private!«. Letzterer, von Blasen und anderen Gebrechen gepeinigt, schleppt ohne ein Wort der Klage in seinem kaputten Rucksack heimlich noch mehrere Kilo Bier durch Wind, Regen, 700 Höhenmeter und 20 Kliometer schweres Gelände, nur um abends feststellen zu müssen, daß es im Basislager auch solches zu kaufen gibt. Nun doppelt gestärkt haben wir tags darauf genug Energie für einige Gefechtsübungen, bezwingen die Hügel mit Leichtigkeit, und stählen uns zuletzt in einem eiskalten Bergsee. Nächstes Jahr ist dann der Mont Blanc dran?
Ella übrigens wächst und gedeiht ebenfalls mit Bier.


16.5.2006

Schon wieder Unterhaltungsprogramm im Staate, heute mit polnischem Jazz! Zuerst kann ich feststellen, daß der polnische Botschafter - der Spiegel würde auch vor dem Wort Botschaftler nicht zurückschrecken - jedenfalls ein verschmitzter Mann zu sein scheint (rechts - obwohl er bestimmt nicht »rechts« ist). Sodann fragt mich ein weiterer verschmitzter Mann, ob ich auch aus Polen sei, er selbst sei allda Künstler und lade mich ein nach Luckenwalde. Der dritte verschmitzte Mann, im Gespräch mit der Gattin des zweiten, stellt dann fest, ich könne Schauspieler sein, am besten solle ich den Mephisto geben! Ich halte als stets verneinender Geist dagegen, daß gerade das personifizierte Schlechte keinesfalls schlecht gespielt werden darf, und ich also ausscheide. Nun möchte ich mich zumindest kurz der netten Hildesheimer Kulturwissenschaftsstudentin Astrid S. zuwenden, werde zu ihrem Glück aber von Herrn K. erneut fortgerissen und nach ganz oben befördert.

So landet ein Außenmitarbeiter auf der Außenterasse des Außenministeriums, wo der diplomatische Nachwuchs samt Nachwuchs den selbigen aus Frankreich mit Bier verköstigt und den Abend genießt. Ein Diplomat erklärt mir undiplomatisch, daß er ja immer Stabilität exportieren wolle, sein Kollege hier dagegen Instabilität importieren - privat hielten sie es im Übrigen genau entgegengesetzt, worauf wir kurz über die Langzeitwirkungen spekulieren. Man verwendet übrigens viele DBAs im Gespräch. Ich muß nachfragen, DBAs? »Na, Drei-Buchstaben-Abkürzungen« - »Ach so, deutsche TLCs!« TLCs? Die Gegenseite ist irritiert, Three-Letter-Codes sind kein amtliches Akronym. Und wir betrachten erstaunt den comicbunten Fernsehturm, der mir zum ersten Mal mit seiner Fußballbemalung richtig gut gefällt. Zuletzt wieder mit dem getäfelten Ministeraufzug nach unten, wobei man natürlich hofft, mit Bierkiste vom Minister selbst ertappt zu werden, um einen coolen Ruf zu erlangen, ohne das EDK zu riskieren... das höchst unangenehme Ende der Karriere. Leider bleiben wir unbemerkt.


13.5.2006

Anläßlich einer Privatlesung in kleinstem Kreise bemerkt die Ratte ein großflächiges Gemälde an der Wand. »Oh, malen Sie?« - »Nein, wir sammeln«, entgegnet das Zahnärzteehepaar.
Wo wir bleiben, fragt Peter. Er macht Lammspießchen, angeblich fast so gut wie in China. Und so bekommt er wenig später Besuch von den Zwillingen, die zum Abend dann doch nicht die hellen Hüte gewählt haben. Wir sehen Filme von einem ihm bekannten Halbgeorgier an, der sich vor einer halbeierförmigen Mikrofon-Attrappe mit Lippenübungen zu Stalins Siegesrede aufgenommen hat. Ob man das nicht mit der Sportpalastrede... nein, lieber nicht. Stattdessen soll getanzt werden, Peter hat noch Energie; wir allerdings verabschieden uns todmüde...


11.5.2006

In der Auster guter Hoffnung sehen wir einen festlandchinesischen Dokumentarfilm über die dortigen 80er Jahre, und erleben den Wandel eines äußerst glaubwürdig laienhaften Bauerntheaters zur »All-Star Rock'n'Breakdance Electronic Band«. Highlight des Films sind hoffnungslos betrunkene Jugendliche, die mit letzter Kraft versuchen, eine taiwanesische und also hochillegalerweise populäre Coverversion eines deutschen Klassikers zu singen. Incal-Leser hören mehr - hier der Taiwan-Reimport: Hou! Ha! Chen ji si han!




10.5.2006

Ein notorischer GEZ-Gegner hat heute das unerwartete Vergnügen, sich mit offiziellem Auftrag auf einer öffentlich-rechtlichen Gala zu amüsieren und im laufenden Betrieb Bilder zu machen, und ist für einen Moment sogar mit dem sympathischsten Mann des deutschen Fernsehens unter zwei Augen. Später möchte ein junger Diplomat, daß ich dokumentiere, wie er gleich mit Frau Maischberger tanzt. Scherze sollte man stets wörtlich nehmen, und da er wenig später partout nicht dazu zu bewegen ist, die gute Sandra anzusprechen, und sich sogar in die entgegengesetzte Ecke verkriecht, übernehme ich den Part für ihn. Moment, sagt Maischberger, sie ist im Gespräch. Ich warte, aber nicht sehr lange, denn plötzlich schießt unser Diplomat mit panischem Blick aus der Menge und reißt mich schnell von ihr weg. Hihi. Zuletzt ist noch erwähnenswert, daß die von mir völlig unterschätzte Band eines Tatort-Komissars samt ihrer bemerkenswerten Sängerin am Ende des Abends und vor einstelligem Publikum noch eine halbe Stunde lang alte Beatles-Stücke spielt, so daß wir in melancholischer Glückseligkeit nach Hause irren können.


28.4.2006

Manchmal ist der Berliner auf freche Weise höflich. Dort, wo ich es am wenigsten erwarte, werde ich gesiezt. Nebenbei sind wir mit hohem Besuch beim bemerkenswert schwachen Deutschen Symphonieorchester in der Philharmonie.


12.4.2006

Früh übt sich, was eine Meisterin werden will. Das gilt nicht zuletzt für die weibliche Kernkompetenz Shopping, und so wundert es mich nicht, das Wunderkind mit der hierin höchst erfahrenen Mutter in der Bergmannstraße anzutreffen. Seriösen Mitmenschen Hasenohren machen kann sie allerdings schon ganz gut.

Wenn man selbst nicht gerade Familie hat, dann stürzt man sich mitunter in völlig sinnlose Arbeit, wie z.B. das Projekt, aus einem kleinen eingescannten ZeitungsFoto ein aufwendiges 16-Megapixel-Bild zu machen, welches man dann hinter seinem Sofa aufhängen kann. Naja.


5.4.2006

Gemeinsam mit Reporterin Ying der renommierten Hong Konger Ming Pao News werde ich Zeuge, wie der Kaiser einen unserer Minister besucht und dabei um ein Haar zitierwürdiges über den Asiaten an sich von sich gibt. Leider umschifft er alle verbalen Klippen im letzten Moment.


28.3.2006

Ich erhalte ein mir noch unbekanntes Moebius-Buch, »Die Geheimnisse des Incals«, in dem die Entstehung des Zyklus' als Ersatz für eine nicht realisierte Dune-Verfilmung beschrieben wird. Darin sollte u.a. Herr Dalí als auf einem nach Pipi und Kaka trennenden Doppelklo thronender König mitspielen. »Ich brauche Sie für sieben Tage!« - »Das wird nicht billig. Gott schuf die Welt in sieben Tagen, und Dalí ist ja nicht weniger wert als Gott!« - zumindest aber nicht weniger als Greta Garbo. Natürlich muß ein solches Projekt scheitern, und nebenbei konnte die Crew von George Lucas den Ideenfundus in aller Ruhe für ihre vielteilige Seifenoper plündern. Im Buch wird außerdem noch einmal die längst vergessene Relevanz der Rattenfrau für den mittelmäßigen Helden der Incal-Geschichte unterstrichen. Naja, der übliche Kinderkram.


27.3.2006

Lem ist tot. Nicht, daß es Aussicht auf Erfolg gehabt hätte, aber ich wollte ihm immer um Übernahme einer Fakultät der Immanuel-Kant-Universität bitten. Zu spät. Für alle Liebhaber hier noch vier Interviews mit ihm: ein Spiegel-Gespräch, ein eher politisches, ein Insider-Interview, und ein vergleichsweise zugängliches...
»Wenn ich 30 Jahre jünger wäre, würde ich Polen erneut verlassen. Aber wo soll man hingehen? Es ist ja überall unangenehm. Die Schweiz ist langweilig, die USA dumm«. Allein mit der Schweiz hat er sich eventuell geirrt.

Der Verlust von Lem ist leider nicht das einzige, was heute passiert. Nicht unerwartet, dennoch schade...


22.3.2006

Meine eidgenössische Blitzanlage ist endlich da und funktioniert sogar. Freiwillige bitte in die Gneisenaustraße!


21.3.2006

Noch 1972 hat der 'Club of Rome' einen Bericht über die Grenzen des Wachstums veröffentlicht und damit viel Zustimmung gefunden. Heute wird er bereits vom akademischen Nachwuchs lächerlich gemacht... Ich erhalte diesen Beleg von Dr. Barthold. Und eine Replik: »Ich bin kein akademischer Nachwuchs, Du kleine Zecke! Wenn doch sieht es schlecht aus«. Da hat er natürlich recht.


16.3.2006

Im Hintergrund kommt es zu einem Lego-Link-Kräftemessen. Martin bietet einen funktionstüchtigen Flipperautomaten, ich kontere mit einer Lego-Zauberwürfellösungsmaschine, Martin nun mit einem vollausgerüsteten, (un?)geschlagene fünf Meter langen Lego-Flugzeugträger der Nimitz-Klasse, worauf mir als ultima ratio nur der Lego-Todesstern übrigbleibt. »Mein Fahrrad ist das schönste!« - »Nein, meins!« - »Nein, meins!«, usw., spottet man darüber in Rintheim, vielleicht aber nur, weil man selbst kein vergleichbares Rad hat.


7.3.2006

Nachwuchs in Japan. Mutter und Kind gesund, Vater glücklich und hoffentlich betrunken. Alles Gute!


2.3.2006

Wir stärken uns mit Ayran und Iskender und betreten erwartungsvoll das Alhambra-Kino, um einen politischen Film zu sehen. Gezeigt wird Tal der Wölfe: Irak. Ein kurzer Rundumblick - das Abendland stellt die verfassungsgebende Mehrheit des Publikums, wir sind beruhigt. Zunächst gibt es Werbung für eine Komödie: zwei Krummsäbel sausen nieder, und die Köpfe der Delinquenten fliegen zu lustiger Musik empor, wobei sie stilisierte Blutfontänen hinter sich herziehen und sich angeregt unterhalten. Dann beginnt das umstrittene Machwerk. Vier Dinge fallen mir auf.

Erstens: wir sehen einen soliden Hollywood-Film. Spannungsbogen, Bilder und Effekte stimmen, mit den Uniformen der Gegner (hier: Amerikaner) hat man sich keine große Mühe gegeben, und niemand würde erwarten, daß ein Hollywood-Film eine völlig exakte Darstellung historischer Ereignisse liefert. Natürlich ist es absurd, daß z.B. ein jüdischer Mengele-Abklatsch irakischen Gefangenen kistenweise Organe entnimmt, sie in Stickstoff frostet und nach London oder Tel Aviv schickt - und so fort. Insgesamt kommt der Amerikaner an sich hier aber besser weg als etwa der Iwan in Rambo III oder ze Germanz in manch englischem Film.

Zweitens: der Hauptdarsteller stammt aus Deutschland! Martin Boldt, bekannt aus der süddeutschen Serie Web.de, hat den Part des türkischen Jims Bÿnd allerdings nur unter Pseudonym angenommen.

Drittens: Gute Menschen fahren deutsche Autos. Die türkischen Helden reisen im krassen BMW-Geländewagen durch die Wüste, für kurdische Stammesfürsten sind zwei korrekte S-Klassen aus den 80ern drin, und als in einem Lehmdorf ein Auto konkret organisiert werden muß, da findet sich immer noch ein selbern zusammengeschraubter Benz aus den Siebzigern.

Und zuletzt gibt es im Film eine Art pädagogisch wertvollen Saladin-Verschnitt (»Der Scheich«), der den Eiferern klar sagt, daß daß Selbstmordattentate Unfug sind und man westliche Journalisten nicht köpft, obwohl es sich bei denen natürlich um Abschaum handelt. Welcher bayrische Politiker wollte dies bestreiten?


28.2.2006

Martin schickt uns mal wieder einen überraschenden Link auf eine japanische Seite. Dortselbst wird u.a. »Der Dienstunterricht im Heere« anschaulich mit Barbiepuppen nachgestellt. Sein Kommentar: Weird!. Peter findet sogar noch Nazi-Mangas, und leitet es zum Spaß der japanischen Freundin weiter. Die findet das allerdings alles ziemlich otaku, offenbar von Leuten mit Armee- und Lolita-Komplex - wie um Himmels Willen er die Seite gefunden habe?! Sie schließt höchst besorgt mit einer Mahnung, die wir uns alle zu Herzen nehmen sollten: »Don't go for schoolgirls!!!«


14.2.2006

Bis eben wußte ich nicht, was man sich unter der Aktion Bernhard vorzustellen hat. NS-Vergangenheit, schön und gut, aber muß es ausgerechnet Geldfälschung sein!


13.2.2006

In der Zossener Straße tobt der Preiskrieg. Ein neuer Laden macht Kampfangebote: Döner für nur einen Euro. Die Mitbewerber halten dagegen und senken die Fleischbrotpreise auf 99 Cent, selbst Minnipizza an der Bude daneben gibt es nun für einen Euro. Die fetten Jahre sind vorbei - die fettigen aber fangen gerade erst an. Und wo man den Preis nicht drückan kann, da muß eben die Qualität steigen: Am Potsdamer Platz stoße ich auf die erste U-Bahn-Musikerin mit klassischer Gesangsausbildung. Wer will da noch behaupten, daß harter Wettbewerb schlecht ist?


8.2.2006

Nach einem Ausflug nach Bad Salzdetfurth samt Konfrontation mit einer kalbsgroßen Dogge namens Paul fahren wir nach Hannover. Die dortige Kestner-Gesellschaft zeigt eine sehr übersichtliche Retrospektive des Berliner Künstlers Michel Majerius. Wir schauen uns um, und stoßen im Buchladen des Museums auf interessante Designer-Vasen aus Edelstahl, in denen gebleichte Zweige stecken - allerdings verkehrt herum. Was hat das zu bedeuten? Die Museumsfrau ist neu hier und wehrt kategorisch ab: »Das ist Kunst, damit hab' ich nichts zu tun!«. Ich finde die Zweige allerdings etwas affig. Was Kunst angeht, da bin ich Berliner.


27.1.2006

Ich bin illegal und ziehe per Tauschbörse einen Film aus dem Netz. Natürlich nicht für mich, es ist ein Lehrfilm für eine Videoschnittsoftware, mit der eine Freundin arbeiten möchte. Zur Sicherheit schaue ich mir den Anfang an, man weiß ja nie, ob die Datei heile ist. Ich bin überrascht: der Film spielt in Amsterdam. Dann kommt der Titel: »SPERM EATING SCHOOLGIRLS«. Es handelt sich offenbar um eine unkonventionelle, praxisorientierte Schulung - und in der Tat werden bereits in der ersten Minute verblüffende Schnittechniken demonstriert. Ich hatte offenbar ein völlig falsches Bild von dem Beruf!

Aus dem Südwesten wird inzwischen von einer Französin berichtet, die die deutsche Fixierung auf billiges Supermarktfleisch als Sinnbild der Orientierungslosigkeit unserer Gesellschaft sieht. Vive l'Intermarché! Sie selbst habe früher Gänse gefüttert. »Wie heißt sie übrigens?« - »Wie indiskret!« - »Ich bitte Dich: es geht um eine Französin, ich muß indiskret sein. Alles andere wäre taktlos!«

Dann wird es albern. Die Familie eines Internet-Moguls erwägt Gerüchten zufolge, ihren Hund einzuschläfern. Angeblicher Grund: er bringt nicht genug Umsatz! Wer nicht mindestens 5x täglich bellt, Platz macht und die Zeitung holt, der muß gehen! Alles wird kontrolliert: Dog Performance Monitoring, ein Zukunftsmarkt! Und wieder hat man ihn in Karlsruhe zuerst erkannt. Ob bald die Firma Comdogs AG an der Börse reüssiert? »Wir werden Weltmarktführer in der Hundekommunikation!«, Sitz! und Platz! per PDA, für Premium-Kunden sogar Fass! - Produktmanager Hanno Hensing wird umbenannt in Hasso! Und vielleicht bekommt man Wau Holland als Berater? Dog save the Queen.


26.1.2006

Pars pro toto: Der Kiosk am Bahnhof Frankfurt/Oder verfügt neben zahlreichen Heften der Zeitschrift »Landser« neuerdings auch über täglich zwei Exemplare der »Süddeutschen«, zwar nur für zugezogene Expats, aber immerhin. Wenig später sitze ich im Regionalexpress nach Berlin, in dem man vor jedem Halt die Reisenden mit dem Anfang von z.B. »Das Wandern ist des Müllers Lust« (in Synthesizer-Panflötenfassung) musikalisch erbaut. Hinter mir unterhalten sich zwei Brandenburger: »Hat mir neulich einer nen Witz erzählt. Unterhalten sich zwei Priester. Schlechte Zeiten, keine kirchlichen Hochzeiten mehr, keine Beerdigungen, und wenn man nicht ab und zu unter die Leute geht, dann gibts auch keine Taufen mehr« - »Hm-mh« - »Ja, und den verstehick nich, kannste mir ma erklären?« - »Na, der meint, daß er selber losgeht und sich so auf Parties mit Frauen trifft, und die Kinder dann alle selber macht« - »Ja und?« - »Na, und dit ziehmt sich wohl nich für so Priester« - »Hm, is das nich 'n bisschen weit hergeholt?«. Einerseits... Andererseits...


25.1.2006

Meine treu-es-te Leserin ruft mich an. Aus Glienicke-Nordbahn. »Ich bin deine treu-es-te Leserin!«, versichert sie mir wieder und wieder. Und ich, ich habe sie enttäuscht. War zu feige, meine Zielgruppe mit exklusiver Fotokunst zu konfrontieren! Habe das Thema kampflos Herrn Taschen überlassen! Glamouröse Rotlicht-Bilder von Minderjährigen! Der letzte Schrei auf der Art Basel Miami Beach! Die Vorwürfe erschüttern mich, aber ich halte zunächst dagegen - »Wir machen hier ein europäisches Kulturmagazin mit einem gewissen Anspruch, meine Liebe - Glamour-Fotos aus Pankow, das nimmt uns keiner ab«. Doch kurz darauf knicke ich ein. Liebe Leser! Darf ich vorstellen: Der unvergleichliche Leonard Ben Aurel!

Wir suchen unterdessen nach Titeln für unsere Biographien. Hier die aktuellen Favouriten - Frank: Wort- und Totschlag, Tim: Endstation Rintheim, Bernhard: Ich bin nur ein Handwerker... Ergänzungen bitte umgehend an Incal melden.


24.1.2006

Gestern teilte mir das Auswärtige Amt mit, daß ich leider bei den Einladungen zu einer Fotoausstellung in selbigem übersehen wurde, aber gern noch einen Katalog haben könne (»Wenn sie Dir wenigstens die Wahl zwischen Katalog und einer Rassel gelassen hätten!«, kommentiert Karlsruhe) - und daß meine Adresse dort nicht mehr verfügbar sei. Wie kann das Ministerium Kontakt zu jemenitischen Geiselgangstern aufnehmen, wenn man schon mit Fälschern aus Kreuzberg überfordert ist?

In Twixt-Spielerkreisen (»Ich bin Tim... Twixt-Tim«) schaut man heutzutage übrigens besorgt nach Osten. »Sie stehlen uns die Siege! Diese jungen Polen überrennen den Westen. Sie sind erst 14, 15... Ihre Unbekümmertheit!« - Der Osten nimmt uns in die Zange. Ob unsere Kanzlerin den Polen mal eine Brandt-Rede hält?


15.1.2006

Charlottenburg. Vorort-Korrespondent Möller betritt die Pizzeria am Stuttgarter Platz, um sein wohlverdientes Abendbrot einzunehmen, setzt sich allein ins Wartezimmer, und studiert historische Ausgaben des Nachrichtenmagazins Der Spiegel. Nach etwa fünf Minuten betritt ein Mann ohne Sinn für Kleidung die Szene, »Typ Realschullehrer, aber dennoch signifikant besser angezogen als die Straßenfeger-Verkäufer«, und wendet sich an den Pizzabäcker. Er sei doch vor zwei Wochen schon einmal zum Essen hier gewesen, und neu in Berlin. Ein neues Konto hätte er auch eröffnet, aber seine Karte verloren, etwas sei schief gelaufen, und nun habe er kein Geld (Möller: »Aha!«). Ob er nicht heute eine Pizza bekommen und diese morgen bezahlen könne? Der Pizzamann läßt das Gesagte eine ordentliche Gesprächspause lang wirken, bietet aber dem Schnorrer dann überraschend eine falsch bestellte Pizza an, die dieser umsonst haben könne. Wieder eine Pause. Der Schnorrer ist offenbar nicht ganz zufrieden mit diesem Angebot und insistiert auf frischer Pizza und morgiger Bezahlung. Erneute Pause. Der Mann könne diese Pizza umsonst haben, sie sei frisch - sonst könne er aber nichts für ihn tun, sagt der Mann am Ofen genervt. Was denn auf der Pizza drauf sei, fragt der Schnorrer, und drückt gleich sein Mißfallen aus: »Äh, Schafskäse, auch das noch!«. Gut, er werde die Pizza trotzdem nehmen, falls man sie ihm kurz aufwärmt (Möller: »Spätestens hier hätte ich den dreisten Idioten rausgeworfen!«). Doch der Verkäufer gibt grimmig nach. Nach etwa 30 Sekunden dann Neues vom Schnorrer. Ob er ein Bier dazu haben könne? Der Pizzamann lehnt ab, Bier gibt's nur gegen Bares. Sofort wiederholt der Schnorrer seine anfängliche Litanei, und er würde doch morgen bezahlen. Und nun kommt die entscheidende Wendung: »Du kriegst ein Bier, wenn Du mir eine Karte oder Deinen Ausweis da läßt«, knurrt der Verkäufer. Mit dieser Antwort hat der Realschullehrer nicht gerechnet, er braucht ein paar Sekunden, um die Optionen abzuwägen. Dann sein Kompromißvorschlag: »Nee, den Perso kann ich Dir nicht geben - aber ich kann Dir meinen SPD-Mitgliedsausweis da lassen«. So sieht er aus, der Niedergang der deutschen Sozialdemokratie. Nur gut, daß Willi das nicht mehr erleben muß.


13.1.2006

Vielleicht bin ich ab sofort abergläubisch und der Überzeugung, daß es sich bei Freitag dem 13. um einen diffamierten Glückstag handeln muß. Vielleicht, vielleicht.


12.1.2006

Die biophysikalische Chemie an der MH Hannover war uns immer als quasi-religiöser Haufen bekannt. Alle Mitarbeiter trugen Vollbart und redeten wirres Zeug. Wer sich der extremistischen Ausbildung unterzog und die Heilige Schrift der BPC Wort für Wort studierte, dem war schnell klar, daß all die Lehren keinen Sinn ergeben konnten. Der eine oder andere aber tauchte tiefer ein, wurde Praktikant, und übernahm bald selber Bart und wirre Reden. In Arbeit und Freizeit beschäftigte er sich fortan intensiv mit Hochleistungszentrifungen oder der Proteinexpression in Bakterien, beides natürlich ohne jeden A- oder B-Waffen-Zusammenhang. Na, das findet sich oft in der Wissenschaft, ein harmloser Haufen von Schraten - dachten wir. Und nun die Überraschung: Laut Spiegel Online arbeitet ein hochrangiger BPC-Ausbilder gerade im Iran an Kernwaffen! Ein Hort des Terrors, mitten in Hannover - wir hätten es ahnen müssen.


11.1.2006

Zur Weltverbesserung gehört auch der Kampf gegen klimatische Ungerechtigkeit. Das Nord-Süd-Gefälle ist erheblich: Baden erwartet 33°C, Berlin bleibt erwartungsgemäß deutlich unter Null. Unsere Sofortmaßnahme: der Ländertemperaturausgleich, und dazu die gesetzliche Mindesttemperatur! Bei der Gelegenheit kann man gleich alles weitere regeln, z.B. den Rechtsanspruch auf Weiße Weihnachten oder das Bundesurlaubswetter. Nun fehlt nur noch ein Wettergefahrenabwehrgesetz, das es der Bundeswehr erlaubt, schädliche Wirbelstürme zu bekämpfen, auch wenn es das Leben Unschuldiger kostet! - Die Bundeswehr setzt zur Unwetterbekämpfung natürlich Tornados ein, anders geht es nicht: Tornado tornadi lupus.


10.1.2006

Die Teevolution trinkt ihre Kinder
Ich stehe im Supermarkt vor dem Teeregal und einer ernsten persönlichen Entscheidung. Firma Teekanne bietet an: Heiße Liebe, Sweet Kiss und, rosa verpackt: Pure Lust. Sex sells, das weiß auch Konkurrent Goldmännchen (!) aus Thüringen, und bietet einen Süßen Flirt sowie Liebeslust. Ostfriese Milford zeiht mit: Süße Romanze und Süße Affäre! Schwestermarke Meßmer kontert dagegen konservativ: Momente der Liebe, Momente des Glücks und Momente der Stille. Nach kurzer Überlegung greife ich zu Heißer Liebe und Momenten des Glücks. Dann sehe ich, daß Meßmer zusätzlich Stücke von Shakespeare gibt: Romeo & Julia sowie den auch im Winter gern getrunkenen Sommernachtstraum. Demnächst auch Hamlet, Macbeth oder direkt: Verlorene Liebesmüh? Ich bin gespannt.


8.1.2006

Historische Betrachtungen im Weltverbesserungsclub: Wir starten in Athen - »Gab es eigentlich je einen Alten Griechen namens Aristokrates? Er hatte natürlich nur einen oder zwei Schüler!« - »Christos Demokrates und Socius Demokrates, den Vater der SPD« - und kommen dann auf Christenblut (»Gibt es Jesusaffen?« - »Blutgruppe RK jesus-positiv«) und natürlich Christenblutspenden (»Im Irak kommt es zu Engpässen!«), womit wir beim Themenkomplex Kreuzzüge angelangt sind. »Jerusalem. Bei einem schweren Kreuzzugunglück kamen schätzungsweise 10.530 Zivilisten ums Leben. Es ist bereits das fünfte derartige Unglück« - »Der Kreuzzug aus Paris zum Weitermarsch nach Jericho über Damaskus und Jerusalem verspätet sich wegen einiger tausend Personenschäden um voraussichtlich 50 Jahre« - »Hat der Schweizer eigentlich ein Kreuz auf seinen Zügen?«... In Konzernen sieht man Kreuzzüge übrigens als Event, wird mir von Siemens später mitgeteilt, und für ein professionelles Ergebnis braucht man unbedingt einen fähigen Event-Manager. Vielleicht sollte ich mal unter Weißes Haus - Stellenangebote nachsehen?

Am Ende steht allerdings das ernüchternde Fazit: »Unsere Witze drehen sich im Kreis, und dieser Kreis ist nicht mal besonders rund. Laß uns lieber von einem N-Eck sprechen.«


7.1.2006

Meine handwerkliche Tätigkeit in Askans Galerie wird von einem längeren Verkaufsgespräch unterbrochen. Es geht um Designgegenstände, der Kunde ist kritisch und vertritt ab und zu durchaus eine eigene Meinung: »Ich bin ja ein Anhänger der offenen Mülltüte«. Abends werden hastig ein paar Gummibärchen gefrühstückt, dann versuche ich, meinen ersten Job als Handwerker zu erledigen. Also los, ein Übungsauftrag, mein Klient braucht Bewerbungsfotos. Er hat einen Schlips und seine badische Freundin dabei - Okay Baby, ich bring Dich GANZ GROß raus! Unser Mann ist ein freundlicher Mensch und lächelt gern, unter Beobachtung aber nicht ganz so locker, seine Freundin dagegen geht ab und zu energisch dazwischen und meint, er müsse ernst und ganz entschlossen gucken - »Die müsche sehe, isch will den Djob!«

Zweieinhalb Stunden Zweitausendwattbeleuchtung später ist man vorerst zufrieden, und ich kann meine versetzten Freunde (»Dieser Streß! Die ganze Zeit durchgecastet!«) im Tian Fu aufsuchen, mal wieder eine Peter-Tour. Die Vorspeise heute: Schweinemagenstreifen mit Chili, »Oh, ungewöhnlich, daß Sie das bestellen« - »Ist es nicht gut?« - »Oh, doch doch, aber ungewöhnlich für Sie«. Mit fließendem Hochchinesisch wird der Kellner überzeugt, uns ruhig alles zu bringen. Dann wieder Feuertopf, all you can eat. Man macht keinen Gewinn mit uns verhungertem Pack. Ich ordere zuletzt einmal Lammfleisch zu viel und platze dann fast. Und im Hintergrund sitzt wieder der 3-Fragezeichen-Nebenfigurensprecher und faselt auf eine weitere interessierte Bedienungschinesin ein (»irgendwie so... Matrixverfahren... 8,9,10 Uhr... Januar Februar März... irgendwo interessante Theorie...«), wir vermuten, daß er taxifahrender Mathematiker (oder sogar Soziologe!) ist.

Und dann geht es in die Weiße Maus, Peter besteht auf teuren Schwermatrosen. Das ist so eine Art Pangalaktischer Donnergurgler, ich schmecke die Gefahr mit dem ersten kleinen Schluck - das Zeug besteht aus Strohrum, verdünnt nur mit weißem & braunem Rum, etwas Kaffeeextrakt zum Wachbleiben sowie einer Spur Zitrone. Nach einem Schwermatrosen bin ich sehr gut bedient, Peter ist härter und bestellt einen zweiten. Aber da ist noch Martin. Sein Vater ist immerhin Doktor med. zur See im Admiralsrang, so daß wir die Bestellung eines Schwer-Admirals erwägen. Stattdessen nimmt er einen dritten Matrosen (»Ich bin Seemann!«), was sogar der Bedienung einigen Respekt abzwingt und uns größere Mengen an Erdnüssen einträgt. »Jetzt zum Karaoke?« - »Nie!« - »Um Himmels Willen!« - »Solange Du nicht gehst, gehe ich auch nicht!« - »Aber nicht zu dem ganz schlechten am Zoo?« - doch in letzter Sekunde gelingt die Deeskalation, und so endet der Abend friedlich um halb drei.


3.1.2006

»Guten Morgen 007, wir haben Sie erwartet..!« - Ich schaue auf meine Wartenummer und ahne nichts Gutes. Wenige Minuten später ist amtlich besiegelt, was ich schon immer geahnt hatte: Ich bin kein Künstler, ich bin nur Handwerker. Und laut Handwerkskammer nicht einmal ein Meister. Die Biochemie, die IT-Beratung, alles waren nur Irrwege. Da ich nun endlich meine Bestimmung gefunden habe (jedenfalls vorläufig), werde ich mein Handwerkertum bei der Arbeit wohl oder übel berücksichtigen müssen - aber halb so wild: ungenaue Termine, überzogene Rechnungen und unaufgeräumte Arbeitsplätze sind machbar, alle anderen schaffen es ja auch.


1.1.2006

Allen 3 Lesern ein Frohes Neues Jahr!