Notizen | Postkarten aus Indien


Postkarten aus Indien
September 2005



So ein Tourist ist schon etwas sehr Interessantes


Angeblich gibt es ja nur dumme Antworten. »Which name? Which country come from? How long in India? How like our country? What do you do in your country? Where are you going?« - und, zuletzt, »Are you married?« Schon nach einem Tag hat man seine ehrlichen Antworten stark gekürzt und ist ihrer überdrüssig. »Where are you from?« - schon wieder! Ich folge dem Beispiel einer unbekannten Schriftstellerin und sage strahlend »Alleminia!« Doch diesmal bin ich an den Falschen geraten. Der Kerl fragt, statt mir den Tempel zu erklären, skeptisch nach den Nachbarländern (Norwegen, Dänemark), bemerkt meinen deutschen Akzent (zweite Amtssprache), und bohrt immer weiter. So entsteht der Zwergstaat Allemenien, 200.000 Einwohner (»Ha! Allein diese Stadt hat mehr!«), konstitutioneller Monarchie und EU-Assoziationsabkommen. Unser Mann ist inzwischen glücklich, den ersten Allemenen vor sich zu haben, und führt mich einem Ladenbesitzer vor, der mich endlich bittet, einige englische Phrasen in meine Sprache zu übersetzen. Er bekommt eine Mischung aus Platt und Althochdeutsch und ist begeistert, daß jede Begrüßung »Moin« heißt. Soweit, so gut. Morgen bin ich dann Sohn algremischer Einwanderer aus Incalesien.






Knallrot trotz Lichtschutzfaktor 30


Ich bekomme im Urlaub keine Farbe, höchstens Sonnenbrand. Auch in Indien rechne ich mit aristokratischer Blässe. Ich gehe im Schatten und verhalte mich unauffällig. Dann stoße ich auf eine Prozession zu Ehren eines elefantenköpfigen Glücksgottes. Die Angelegenheit hat Karnevalscharakter, allerdings kommt auf jeden der Feiernden ein Wachsoldat am Straßenrand. Ich mache ein Foto, werde als einziger Vertreter des Abendlandes sofort entdeckt, in die nun aufgeregte Schaar gezerrt und mit neonfarbigen Pigmenten bemalt. Dann umringen mich Trommler und fordern mich auf, zur Musik zu tanzen. Ich muß das Ansehen Europas bei diesen Wilden verteidigen, und folge der Bitte nach Kräften. Man ist begeistert und tanzt mit. Die Masse gerät außer sich. Soldaten werden nervös. Die Situation droht, außer Kontrolle zu geraten. Das Militär schreitet ein: ich werde extrahiert und erhalte Tanzverbot. Sofort entspannt sich die Lage. Ich bin nun bunt und noch lange später Auslöser indischer Heiterkeit. Niemand soll sagen, ich hätte im Urlaub keine Farbe bekommen.






Werbung für das Tausendjährige Dach


Ein Platz an der Sonne! Diesen alten deutschen Traum kann man sich in Indien noch leicht erfüllen. Und sogar Hakenkreuzen steht man hierzulande offen gegenüber und verwendet sie zur Zierde von Balkongeländern und als Emblem von Asbestfabriken. Überhaupt ist es ein ganz übeles Klischee, daß Klischees nicht stimmen würden, und so genießt man hier die malerische Armut, das bunte Treiben auf den Straßen, die leuchtenden Farben der Frauenkleider und Tempel, das hervorragend gewürzte Essen, die sonnigen Strände und nicht zuletzt das europafreundliche Lohnniveau. O Schöne Dritte Welt, die solche Preise hat!
Manche Entwicklung erfüllt den Besucher allerdings mit Sorge: es ist gar nicht so mehr schwer, die vermeintlich ausgebufften Rickscha-Betrüger seinerseits übers Ohr zu hauen, die gesundheitsgefährliche Limca-Limonade verschwindet zunehmend vom Markt, und japanische Mobiltelefone genießen höheres Ansehen als solche aus Europa. Wo soll das enden?






Der Inder an sich findet auch unter widrigsten Umständen Schlaf


Ich will von A nach B. B ist knapp anderthalb ICE-Stunden entfernt, allerdings liegen A und B in Indien. Ich nehme also den Karnataka State Road Transport Corporation Executive Super Deluxe Express - Nachtbus. Die Fahrt wird mit 12 Stunden veranschlagt. Nach einer Minute weiß ich, worauf ich mich eingelassen habe. Die Strecke ist ein 400km langes Schlagloch, das der Bus mit gefühlten 100km/h durchfährt. Das Fahrerlebnis hat einen Namen: Indisches Rodeo. Man springt auf den Sitzen hin und her und lernt sehr schnell, wo man sich überall hart den Kopf stoßen kann. Und die Knie. Die Menschen um mich herum schlafen friedlich, während das Gepäck auf dem Boden hin- und hergeschleudert wird. Zwölf Stunden später steige ich aus. Das Leben ist schön. Vielleicht bin ich Busfahrten einfach nicht mehr gewohnt, oder es sind die falschen Gene.






Oftmals kommt es zwischen den Königen der Landstraße zum Kampf auf Leben und Tod!


Alles geht den Bach runter: Chinesen, die nicht an Viagra glauben, lassen den indischen Tiger ausrotten, und der leere Regenwald wird dann zu Brennholz und Designermöbeln verarbeitet. Wo aber bleibt das Gesetz des Dschungels? Ganz einfach: Auf der Straße. Während in von der Zivilisation verdorbenen Ländern stets das teuerste Auto Respekt und Vorfahrt genießt, gilt in Indien das Recht des Stärkeren. Der stärkste Bewohner der Straße aber ist der Bus. Rücksichtslos und mit lautem Dieselgebrüll bahnt er sich seinen Weg durch das Straßendickicht, Rickschas und Taxis springen respektvoll zur Seite. Sie lauern auf kleinere Beute: den Fußgänger. Doch auch der hat das Überleben auf der Straße gelernt, und so erwischen die Richschas mit ihrem Lockruf (»Hello mister! Mister, want auto?«) vor allem Alte und Touristen. Irgendwie ist in Indien die dritte Welt noch in Ordnung.






Man kann ein Kaffeehaus natürlich auch ohne Kaffee betreiben


Wenn man sich schon kolonialisieren läßt, dann sollte man zumindest die Vorzüge der Imperialmacht übernehmen. So hat der Ire sein englisches Frühstück, der Namibier seinen Biergarten, und in den neuen Bundesländern findet sich so manch sowjetische Datscha. In Indien sucht man dagegen vergeblich nach einem vernünftigen arabischen Kaffeehaus - und das trotz jahrhundertelanger Herrschaft der islamischen Eroberer. Vom nachrückenden Engländer wurden immerhin schwarze Regenschirme und die Khaki-Uniformen übernommen - beides zusammen verleiht einem berittenen Polizisten etwa ein durchaus stilvolles Erscheinungsbild. Leider scheint man aber anderes nicht ganz verstanden zu haben, und nennt Latrinen Bathrooms, Imbißbuden Hotels und Schlaglochpisten Highways. Vieles hätte man auch lieber ganz in England gelassen, marode Eisenbahnen und den Linksverkehr zum Beispiel. Und dann entdecke ich etwas, das in einer französischen Kolonie undenkbar wäre: auf einer Flasche Mangosaft steht die deutliche Warnung Contains fruit!. Man kann sich seine Besatzer nicht vorsichtig genug aussuchen.