Folge 12: Interview mit Incal

Incal gilt vielen als rätselhaftestes Magazin Europas. Rintheim direkt traf den Betreiber in einem Luzerner Kaffeehaus und sprach mit ihm über Gespräche, peruanischen Silberschmuck und das Geheimnis seiner Erfolglosigkeit.


RD: Verehrter Herr, Sie sind Betreiber des Vernunftmagazins Incal, werden aber ernüchternd selten selbst zu einem Medienthema. Doch wenn man Ihnen in einem Interview die Möglichkeit einräumte, die erste Frage ganz nach Ihrem Belieben zu interpretieren, was würden Sie antworten?

Incal: Mein lieber Freund, das ist eine ganz und gar hypothetische Frage. Solche Fragen beantworte ich grundsätzlich nicht, und abgesehen davon ist Incal alles - nur kein Vernunftmagazin. Ich glaube, Sie haben Incal gar nicht gelesen, geschweige denn eine unserer hervorragenden Kolumnen!

RD: Gott bewahre! Kolumnen soll man schreiben, aber doch niemals lesen. Über Incal selbst erlaube ich mir nicht die geringste Meinung. Das Magazin ist aus meiner Sicht so bedeutend, daß ich sowohl entschlossen dafür als auch energisch dagegen bin - und ich denke, das ist genau die Attitüde, die Sie bei Ihren Lesern erreichen wollen. Es muß doch aber die Frage erlaubt sein, wozu und vor allem wem das Ganze dienen soll?

Incal: Wenn ich das wüßte! Und glauben Sie mir, die Frage quält mich schon seit vielen Jahren. Wem nutzt, wo sind die Grenzen der Zweckfreiheit? Inzwischen vermute ich sogar, daß wir es hier mit einem europäischen Problem zu tun haben - beunruhigend, gerade für uns Europäer. Aber Incal ist ja auch immer die Flucht ins Detail: Seit ein paar Monaten beschäftige ich mich zum Beispiel mit peruanischem Silberschmuck - ein Thema, bei dem sich die Sinnfrage erst gar nicht stellt.

RD: Wir alle müssen unser Geld verdienen - die einen verkaufen Gemüse, die anderen basteln Silberschmuck. Doch lassen Sie uns noch ein wenig über Details sprechen. Aufmerksame Leser bemerken schnell, daß Incal in allem die große Linie zu fehlen scheint. Würden Sie Incals Kleinteiligkeit als psychologisches Symptom deuten? Oder, anders gefragt: Wenn Incal das Symptom ist, wer ist dann Dr. Freud? Und wer der Patient?

Incal: Es ist einfach, Incal als Symptom der Ratlosigkeit des akademischen Europas zu interpretieren. Dem Magazin scheint die große Linie zu fehlen, weil alle Welt sie mit der Lupe sucht! Ich möchte mich da im übrigen nicht ganz ausschließen. Sehen Sie, Silberschmuck, Liebe, oder Peru, Untergang einer Zivilisation - gemein ist der Abstraktion letztlich nur ihre Vergeblichkeit. Ist Detaillismus da nicht vielleicht das umfassendste Konzept?

RD: Ist Incal für Sie also das Peru Europas?

Incal: Die Idee Perus, also im rein platonischen Sinne. Natürlich ist das keine unproblematische Metapher, aber ja, man könnte es so sagen.

RD: Eine Mehrheit der Leser vertritt nun aber die Ansicht, daß Incal - aus europäischer Perspektive - eher Bolivien als Peru ähnele, genauer gesagt Südbolivien.

Incal: Südbolivien? Ich hatte immer schon den Verdacht, daß Incal von seinen Lesern weder verstanden noch ernst genommen wird. Mit beidem kann ich leben, es beruht ja auf herzlicher Gegenseitigkeit. Allerdings bezweifele ich den Plural der Leser - gerade, was dieses Interview angeht.

RD: Mir sind Interviews aller Art höchst zuwider - insbesondere solche, in denen der Interviewer überwiegend über sich selbst spricht und den Befragten mit seiner Litanei völlig an den Rand drängt. Wen interessieren die Ansichten des Interviewers über die Sozialdemokratie und andere Defekte der modernen Welt? Mich ganz sicher nicht. Das öffentliche Zwiegespräch ist durch unsere journalistischen Taugenichtse zu einem Schaufenster gekränkter Eitelkeiten verkommen. Wenn ich interviewt werde, erwarte ich von meinem Gegenüber eine gewisse Demut, gekonnt geheucheltes Interesse an meiner Persönlichkeit und vor allem italienisches Gebäck.

Incal: Ein erfahrener Interviewer sollte stets einen gewissen Vorrat an Cantucci mit sich führen - wenn schon nicht für sein Opfer, dann immerhin für sich selbst. Aber wem sage ich das? Ein Interview ohne italienisches Gebäck ist wie Italien ohne seine Busfahrer: sicherer, aber nicht halb so interessant.


Lesen Sie im zweiten Teil, warum es sich lohnen könnte, den zweiten Teil zu lesen.