Wannenbauer & Wohlfeldt über
»Argentinien und Toilettenschüsseln«

Schweden liegt am Boden, Deutschland sucht sein Glück bei Südamerikanern - ausgerechnet im Viertelfinale. Herzlich willkommen zum dritten Gespräch.


Dr. Wohlfeldt:
Wannenbauer, Wannenbauer ... Ich weiß nicht, ob ich lachen, weinen oder jammern soll!

Wannenbauer:
Das ist höchst interessant. Ihr Anliegen ist offenbar ein Spezialfall der Frage »Wie soll ich handeln?«, die ja schon der alte Kant gestellt hat.

Dr. Wohlfeldt:
Ihre philosophischen Spitzfindigkeiten werden Sie diesmal nicht retten. Ich habe in alten DFB-Akten recherchiert. In jungen Jahren haben Sie selbst Fußball in der F-Jugend gespielt und am 12. Mai 1961 sogar ein Tor gegen die FSV Bennstedt geschossen. In der 4. Minute! Damit weisen Sie eine Gemeinsamkeit mit Lukas Podolski auf, dem ja bekanntlich dasselbe im Spiel gegen Schweden gelungen ist.

Wannenbauer:
Im Gegensatz zu mir hat Podolski allerdings kein Eigentor geschossen. Sie müssen das aus dem Kontext verstehen - ich war jung, ein Rebell. Ich wollte das System DFB von innen verändern. Leider musste ich bald erkennen, dass dies ebenso aussichtslos war wie die amerikanische Landung in der Schweinebucht. Doch apropos aussichtslos: Ist es nicht bedauerlich, dass unsere Jungs schon jetzt auf Argentinien stoßen? Man hätte ihnen ein Weiterkommen doch gegönnt. Ich weiß noch nicht mal, wofür Argentinien überhaupt steht. Die Welt ist so unübersichtlich geworden.

Dr. Wohlfeldt:
Kühlen Kopf bewahren! Argentinien wird doch maßlos überschätzt. Was hat das Land denn in den letzten hundert Jahren zustande gebracht, wenn man mal vom Tango absieht? Rein gar nichts, und schon das ist eine Übertreibung. Ganz abgesehen davon haben sich auch deutsche Mannschaften immer hervorragend auf ein ganz spezielles Tänzchen verstanden, nämlich den Dampfwalzer. Ich gehe mit der größten Zuversicht ins Spiel!

Herausforderer Argentinien: »Außer Tango seit hundert Jahren nichts zustande gebracht.«

Wannenbauer:
Ihr Wort in Gottes Hand! Vielleicht war Maradonas übernatürliches Tor damals in Mexiko die Rache an England für den Falklandkrieg. Eventuell waren die Briten aber auch nur geschwächt - die Welt zu Gast bei Montezuma, das ist nicht jedermanns Sache. Es gab übrigens nur zwei Länder, die eine komplette Küche aus der Heimat mitbrachten: Deutschland und Argentinien. Von England konnte man das natürlich nicht erwarten. Argentinien aber hat uns im Finale besiegt.

Dr. Wohlfeldt:
Von besiegen kann gar nicht die Rede sein, unsere Jungs haben ja gewissermaßen freiwillig verloren. Ich habe die Niederlage jedenfalls immer als wohlwollende Entwicklungshilfe verstanden. Schauen Sie, Argentinien lag damals in den letzten Zügen der Militärdiktatur, die Menschen waren verzweifelt. Wir hingegen schwammen auf der Neuen Deutschen Welle. Kennen Sie übrigens den WM-Song von Grönemeyer? Er erinnert mich an das Oktoberfest. Allerdings nicht an die Stimmung, sondern an den Eintopf, den man dort serviert.

Wannenbauer:
Das wundert mich überhaupt nicht. Der Mann hat mit Musik nicht das Geringste am Hut, vielleicht hat er nicht mal einen Hut. Früher hat man ihn ja für die deutsche Madonna gehalten, die kann auch nicht richtig singen oder schauspielern. Inzwischen hat sie aber Unterricht genommen, lässt ihre Lieder von Profis schreiben und sieht zudem besser aus als je zuvor, zumindest aber als Grönemeyer. Ist Herbert ein Sanierungsfall? Sein verdrehter Song wird jedenfalls peinlichst verschwiegen - übrigens genau wie das WM-Maskottchen, dieser Löwe.

Sanierungsfall Grönemeyer: »Früher hat man ihn für die deutsche Madonna gehalten, die könnte auch nicht singen.«

Dr. Wohlfeldt:
Immerhin passt Grönemeyer besser zur deutschen Mannschaft als jeder andere: Er hat Erfolg, aber da draußen in der Welt liebt ihn niemand. Das Maskottchen Goleo hat mich allerdings nicht überzeugt. Hat sich denn niemand bei der FIFA vorher mal die Löwen im Zoo genauer angesehen? Die Viecher brüllen den ganzen Tag herum und stinken wie die Hölle. Der Bezug zu unseren Fußballfans ist erkennbar, aber kaum wünschenswert. Vielleicht hätte man bei der Auswahl eines Tieres vorher den DFB um Rat fragen sollen, die Herren dort kennen sich zumindest mit Affentheater bestens aus.

Wannenbauer:
Affen als Maskottchen wären ehrlich, würden aber eher FIFA-Funktionäre als Fans repräsentieren, vielleicht auch den deutschen Bundesrat. Der DFB hat übrigens ein nationales Gegenmaskottchen gekrönt, einen Vogel namens Paule.

Dr. Wohlfeldt:
Das Fußballmerchandising treibt mitunter seltsame Blüten. Wussten Sie zum Beispiel, dass in den Toilettenschüsseln aller WM-Stadien die Herstellerlogos überklebt werden mussten? Vermarktung hin oder her - mir war bislang nicht klar, mit welcher Konsequenz sich die FIFA für das interessiert, was hinten rauskommt. Es geht eben um das ganz große Geschäft.

Wannenbauer:
Und erstaunlicherweise sind die Deutschen wieder wettbewerbsfähig, Christiansen ist weg vom Fenster, die Binnennachfrage nach Schwenkfahnen explodiert, und sogar Klinsmann sagt inzwischen, selbst der Vizeweltmeistertitel sei zu wenig. Einzig Innenminister Schäuble hält noch immer Bundeswehreinsätze für nötig, um deutsche Tore zu verteidigen. Ein einsamer Mahner! Der Spiegel hat bereits nach dem Sieg über Polen vom »Triumph des Wollens« gesprochen.

Dr. Wohlfeldt:
Ich staune immer wieder über die außerordentliche Stilsicherheit der Hamburger. Ausgerechnet nach einem Sieg über Polen bringt man dort einen Riefenstahl-Witz! Gerade im Sport sollte man auf nationale Stereotype besser verzichten. Es wäre allerdings äußerst unangenehm gewesen, wenn uns die Polen die Chance auf die Endrunde, nun ja, gestohlen hätten. Nun stehen wir ja nur noch wirtschaftlichen Schwellenländern gegenüber - Argentinien, Italien und im Finale Brasilien. Das klingt für meinen Geschmack fast zu einfach.

Wannenbauer:
Wie sagte doch Breitner? »Sie sollten nicht glauben, dass sie Brasilianer sind, nur weil sie aus Brasilien kommen«.

Dr. Wohlfeldt:
So ist es. Da könnte ja jeder kommen.


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