Die WM ist eröffnet, und damit auch unsere Gesprächsreihe zum Thema Rasensport. Herzlich willkommen zur ersten Unterhaltung.
Dr. Wohlfeldt:
Eigentlich bin ich kein WM-Hasser. Einem Haufen junger Männer dabei zuschauen, wie sie einen Ball durch die Gegend schubsen - man kann das machen. Solange dabei kein großer Schaden angerichtet wird, soll mir alles recht sein. Im Übrigen sind Fußballfans nützliche Mitglieder unserer Gesellschaft. Wie ich höre, soll man sie außerordentlich gut zu Gartenarbeiten einsetzen können.
Wannenbauer:
Ich möchte gar nicht bestreiten, dass manch einer von diesen Fans in der Lage ist, einen Rasenmäher zu bedienen. Das Problem ist ja leider, dass es diese Burschen nicht beim stillen Medienkonsum und gelegentlichen Rasenschnitt belassen. Nein, gerade jetzt zur WM nehmen sie ein Höchstmaß an öffentlichem Raum in Anspruch, exemplarisch sogar den Platz der Republik vor dem Reichstag, und machen ganze Stadtviertel zu No-Go-Areas für zivilisierte Mitmenschen.
Dr. Wohlfeldt:
Den Platz der Republik sollte die vornehme Gesellschaft ohnehin meiden. Außerdem passen Sport und Berlin nicht zusammen. Man erinnere sich nur an die Olympischen Spiele an der Spree - kurze Zeit später lag das ganze Land in Schutt und Asche. Ich will doch sehr hoffen, dass unserem Bundestrainer die Dinge nicht ähnlich aus dem Ruder laufen wie damals! Wie hieß er noch gleich? Dieser kecke Schwabenbub, wenn Sie mir vielleicht auf die Sprünge helfen könnten ...
Wannenbauer:
Ich weiß, Sie meinen diesen blonden Menschen, der immer so fröhlich ist. Warten Sie - er heißt doch so ähnlich wie der wahnsinnige Schauspieler ... Klinski, nein, Klinsi! Der Mann ist nicht zu beneiden. Die Teilnahme am WM-Finale hat ja wichtige Eckpfeiler des Nationalgefühls abgelöst. Früher musste in 6 Wochen ein Sieg über Frankreich her, heute reicht ein gewonnenes WM-Spiel gegen Holland. Das ist an sich erfreulich, aber erheblich schwieriger, und setzt den Trainer größtem öffentlichen Druck aus. Warum wird nirgends im Lande Weltklasse verlangt, nur in der Fähigkeit, Bälle aus gegerbter Tierhaut geschickt über eine Wiese zu treten?
Dr. Wohlfeldt:
Vielleicht ist es die deutsche Urverbundenheit mit der Kreatur. Ich traue unseren Landsleuten inzwischen alles zu, selbst eine anständige Weltanschauung. Und Klinsmann ist doch ein Teufelskerl! Allerdings ist er in seinem Job eine glatte Fehlbesetzung. Kindergärtner, Tierpfleger, Assistenzarzt, mit diesem Gesicht könnte er alles werden. Nur ein Land wie unseres kommt auf die Idee, ihn ausgerechnet zum Bundestrainer zu machen! Aber seien wir doch ehrlich - die ganze Welt ist froh über unsere Entscheidung.
Wannenbauer:
Bundestrainer - das klingt schon offiziell, womöglich hat er eigene Staatssekretäre. Demnächst macht man ihn noch zum Kanzler - wenn unser Kaiser es erlaubt, warum nicht! Dessen Titel hat sogar der Außenminister kürzlich akzeptiert. Mich beunruhigt das. Man kann zur Demokratie allerhand sagen, ich würde sie einer FIFA-Monarchie jedoch stets vorziehen. Warum ist in unserem Land die Trennung von Staat und Fußball unmöglich? Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich habe nicht das Geringste gegen eine infantile Ballsport-Diktatur, aber doch bitte nicht bei uns.
Dr. Wohlfeldt:
Von Brasilien lernen heißt siegen lernen! Eine Fußballdiktatur täte Deutschland gut. Meiner Meinung nach sind die Unterschiede zum tatsächlichen politischen Alltag auch nicht besonders groß. Selbst eine Abseitsfalle gibt es, denken Sie nur an Heiner Geißler! In der Politik sind allerdings die Fouls böser, die Selbstdarsteller eitler und Mannschaftsgeist kaum vorhanden.
Wannenbauer:
Ich sehe, Sie wollen die Kinder spielen lassen. Aber man darf die Schattenseiten nicht ausblenden. Stellen Sie sich eine Sabine-Christiansen-Talkshow mit lauter Fußballern vor, jeden Abend! Die Feuilletons der großen Zeitungen - ausschließlich gefüllt mit Geschichten über irgendwelche Intrigen bei Bayern München. DFB-Fahnder, die abends klingeln und Zwangsgebühren eintreiben, parafußballerische Erziehung schon im Kindergarten. Vielen Mitmenschen bliebe da nur die innere Emigration.
Dr. Wohlfeldt:
Ich muss gestehen, dass ich mir Sabine Christiansen seit einiger Zeit als Ersatztorhüterin der deutschen Mannschaft wünsche. Oliver Kahn versteht möglicherweise mehr von Politik als sie, aber dafür hält sie sich nicht für Gott. Wirklich problematisch wird es für das christliche Abendland allerdings, wenn Gott beginnt, sich für Oliver Kahn zu halten.
Wannenbauer:
Oder für Sabine Christiansen ...
Dr. Wohlfeldt:
Gott bewahre!
Wannenbauer:
Aber Kahn - ein zorniger, titanischer Gott, der in Japan heimlich Werbung für unseriöse Finanzdienstleister macht? Der Weg des Christenmenschen wäre um einige Steine reicher, dafür würde Deutschland Weltmeister: Gott mit uns, und selbst Brasilien müsste dran glauben. Ich habe allerdings gehört, dass sich eine Hand Gottes bereits im Besitz von Diego Maradona befindet.
Dr. Wohlfeldt:
Unsere Mannschaft bräuchte wohl eher das Hirn Gottes, schauen Sie sich doch Ballack und seine Freunde einmal an! Ich halte es übrigens für nicht unwahrscheinlich, dass der Alte am Ende tatsächlich eingreift. Immerhin sind wir Papst.
Wannenbauer:
Vergessen Sie nicht, dass Gott Tscheche ist. Er wird eher der eigenen Mannschaft helfen, womöglich sogar mit Schlagergesang. Fußball und Schlager, das Duo infernale! Ich hoffe nur, dass es schnell vorübergeht.
Dr. Wohlfeldt:
Die Tschechen spielen mit Gott, wir mit dem Kaiser. Es lebe das moderne Europa!
Wannenbauer:
Amen.
Haben Sie Fragen, Anregungen oder sogar Kritik? Schreiben Sie unseren Lamentatoren Ihre Meinung! Dr. Ulrich Wohlfeldt freut sich auf Ihre Nachricht.